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Madame Bovary

Madame Bovary

Titel: Madame Bovary
Autoren: Gustave Flaubert
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Landstreichertum
werden die Zugänge unsrer Großstädte noch unausgesetzt von
Bettlerscharen heimgesucht. Manche treten auch vereinzelt auf, und
das sind vielleicht nicht die ungefährlichsten. Aus welchem Grunde
duldet das eigentlich die Obrigkeit?«
    Daneben erfand Homais auch Anekdoten:
»Gestern ist auf der Höhe am Wilhelmswalde ein Pferd
durchgegangen….«
    Es folgte der Bericht eines durch das plötzliche Auftauchen des
Blinden verursachten Unfalls.
    Alles das hatte eine so treffliche Wirkung, daß der Unglückliche
in Haft genommen wurde. Aber man ließ ihn wieder frei. Er trieb es
wie vorher. Ebenso Homais. Es begann ein Kampf. Der Apotheker blieb
Sieger. Sein Gegner wurde zu lebenslänglichem Aufenthalt in ein
Krankenhaus gesteckt.
    Dieser Erfolg machte ihn immer kühner. Fortan konnte kein Hund
überfahren werden, keine Scheune abbrennen, keine Frau Prügel
bekommen, ohne daß er den Vorfall sofort veröffentlicht hätte – ,
geleitet vom Fortschrittsfanatismus und vom Haß gegen die
Priester.
    Er stellte Vergleiche an zwischen den Volksschulen und den von
den »Ignorantinern« geleiteten, die natürlich zum Nachteil der
letzteren ausfielen. Anläßlich einer staatlichen Bewilligung von
hundert Franken für kirchliche Zwecke erinnerte er an die
Niedermetzelung der Hugenotten. Er
denunzierte kirchliche Missbräuche. Er las den Pfaffen die Leviten,
wie er meinte. Dabei wurde er ein gefährlicher Intrigant.
    Bald war ihm der Journalismus zu eng; er wollte ein Buch
Schreiben, ein »Werk«. So verfaßte er eine »Allgemeine Statistik
von Yonville und Umgebung nebst klimatologischen Beobachtungen«.
Die damit verbundenen Studien führten ihn ins volkswirtschaftliche
Gebiet. Er vertiefte sich in die sozialen Fragen, in die Theorien
über die Volkserziehung, in das Verkehrswesen und andres mehr. Nun
begann er sich seiner kleinbürgerlichen Obskurität zu schämen; er
bekam genialische Anwandlungen.
    Seinen Beruf vernachlässigter dabei keineswegs, im Gegenteil, er
verfolgte alle neuen Entdeckungen seines Faches. Beispielsweise
interessierte ihn der große Aufschwung in der Schokoladenindustrie.
Er war weit und breit der erste, der den Schoka (eine Mischung von
Kakao und Kaffee) und die Eisenschokolade einführte. Er begeisterte
sich für die hydro-elektrischen Ketten Pulvermachers und trug
selbst eine. Wenn er beim Schlafengehen das Hemd wechselte, staunte
Frau Homais diese goldene Spirale an, die ihn umschlang, und
entbrannte in verdoppelter Liebe für diesen Mann, der wie ein
Magier glänzte.
    Für Emmas Grabmal hatte er sehr schöne Ideen. Zuerst schlug er
einen Säulenstumpf mit einer Draperie vor, dann eine Pyramide,
einen Vestatempel in Form einer Rotunde, zu guter Letzt eine
»künstliche Ruine«. Keinesfalls aber dürfe die Trauerweide fehlen,
die er für das »traditionelle Symbol« der Trauer hielt.
    Karl und er fuhren zusammen nach Rouen, um bei einem
Grabsteinfabrikanten etwas Passendes zu suchen. Ein Kunstmaler
begleitete sie, namens Vaufrylard, ein Freund des Apothekers
Bridoux. Er riß die ganze Zeit über schlechte Witze.
Man besichtigte an die hundert Modelle,
und Karl erbat sich die Zusendung von Kostenanschlägen. Er fuhr
dann ein zweitesmal allein nach Rouen und entschloß sich zu einem
Grabstein, über dem ein Genius mit gesenkter Fackel trauert.
    Als Inschrift fand Homais nichts schöner als: 
STA
VIATOR!
    Diese Worte schlug er immer wieder vor. Er war richtig vernarrt
in sie. Beständig flüsterte er vor sich hin: 
»Sta
viator!«
    Endlich kam er auf: 
AMABILEM CONJUGEM CALCAS!
    Das wurde angenommen.
    Seltsamerweise verlor Bovary, obwohl er doch ununterbrochen an
Emma dachte, mehr und mehr die Erinnerung an ihre äußere
Erscheinung. Zu seiner Verzweiflung fühlte er, wie ihr Bild seinem
Gedächtnis entwich, während er sich so viel Mühe gab, es zu
bewahren. Dabei träumte er jede Nacht von ihr. Es war immer
derselbe Traum: er sah sie und näherte sich ihr, aber sobald er sie
umarmen wollte, zerfiel sie ihm in Staub und Moder.
    Eine Woche lang sah man ihn jeden Abend in die Kirche gehen. Der
Pfarrer machte ihm zwei oder drei Besuche, dann aber gab er ihn
auf. Bournisien war neuerdings überhaupt unduldsam, ja fanatisch,
wie Homais behauptete. Er wetterte gegen den Geist des
Jahrhunderts, und aller vierzehn Tage pflegte er in der Predigt vom
schrecklichen Ende Voltaires zu erzählen, der im Todeskampfe seine
eignen Exkremente verschlungen habe, wie jedermann wisse.
    Trotz aller
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