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Machtrausch

Machtrausch

Titel: Machtrausch
Autoren: Rainer C. Koppitz
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Gähnen brachte, wenn sie nur den Versuch machte, sich daran zu erinnern.
    Sie waren sich seinerzeit im Zoo das erste Mal begegnet, genauer gesagt in der Fisch-Abteilung des Münchner Zoos. Anton, ermüdet von der trockenen Schreibarbeit in seinem kleinen Apartment, stand vor den blubbernden Aquarien und blickte sehnsüchtig auf die bunten Tropenfische, die ihn an das Tauchen an Korallenriffen erinnerten. Dazu hatte er aktuell weder Geld noch Zeit. Barbara befand sich zufällig im selben Raum. Sie bemitleidete die Fische in den gläsernen Käfigen und plante in Gedanken einen Infostand vor dem Haupteingang des Zoos, in dem sie die Zurschaustellung von Lebewesen in zoologischen Gärten anprangern wollte. Anton, das hatte er ihr später erzählt, war sofort fasziniert gewesen von der auf so natürliche Weise anziehenden Frau, die ganz anders wirkte als seine geschminkten Kommilitoninnen in ihren Markenklamotten. Einer spontanen Regung folgend hatte er sie angesprochen: »Wunderschön, diese Papageienfische! Ich habe zu Hause ein eigenes Aquarium mit ein paar seltenen Schwalbenschwänzen. Wenn du möchtest, kannst du gerne einmal vorbeikommen und sie dir ansehen …« Anton hatte eine sehr dunkle Stimme gehabt und Barbara wäre, obwohl sie es augenscheinlich mit einem Tierquäler zu tun hatte, am liebsten sofort mitgekommen. Schwalbenschwänze!
    Es war die sprichwörtliche Liebe auf den ersten Blick gewesen. Schwarzer Rollkragenpullover, grüne Augen, verstrubbeltes Haar und eine Anmache, die in ihrer Primitivität nur an die klischeehafte Einladung zum gemeinsamen Betrachten der Briefmarkensammlung erinnerte. Die beiden hatten Adressen ausgetauscht, und Anton hatte die nächsten Tage an einer geeigneten Formulierung herumgebastelt, die ihr das Nichtvorhandensein eines Aquariums in seiner Wohnung erklären sollte. Er hatte nämlich noch nie eines besessen.
    Bei Barbaras erstem Besuch führte genau diese kleine Notlüge dazu, dass die beiden auf direktem Weg im Bett landeten: Erstens war sie überaus erleichtert, sich in keinen Fischquäler verliebt zu haben, und zweitens zeigte ihr die spontane Lüge Antons nur, wie gut sie ihm auf Anhieb gefallen hatte. Sie war überaus geschmeichelt gewesen und musste stets schmunzeln, wenn sie an den Beginn ihrer Beziehung dachte. Heute, ein Jahrzehnt später, liebte sie ihren Mann noch immer und wünschte sich ein Kind. Barbara merkte jedoch, dass Anton diesem Thema auswich. Und sie merkte, dass ihr Wunsch nach purem Sex in gleichem Maße nachließ, wie der Kinderwunsch wuchs. Sie nahm sich vor, dieses Thema demnächst bei einer Flasche Wein offen anzusprechen.

     
    Heute war sie mit ihrem kleinen Fiat-Lieferwagen bis ins Voralpenland gefahren, um sich dort einen Biobauernhof in der Erwartung anzusehen, dort eventuell günstig Bioeier, Käse und Gemüse für ihren Laden beziehen zu können. Die Hoffnung hatte sich jedoch schnell zerschlagen, da der Hof bereits ausreichend über gut zahlende Abnehmer im reichen Münchner Umland verfügte und Barbara bei ihren aktuell noch geringen Absatzmengen keinen wirklich guten Preis verhandeln konnte. Sie hatte sich mit der Junior-Chefin des Hofes jedoch persönlich gut verstanden und wollte erneut auf sie zukommen, wenn sich ihre Kundenbasis ausgeweitet haben würde. Jetzt fuhr sie in der Abendsonne gen München und sinnierte über den Unterschied zwischen ihrem Arbeitsalltag und jenem von Anton nach. Endlose Besprechungen und Konferenzen mit – ihrer Ansicht nach – glattlackierten Managern auf der einen und der tägliche Existenzkampf zwischen Milch, Käse, Gemüse und Geiz-ist-geil-versessenen Kunden auf der anderen Seite. Wenn die beiden sich abends, jedenfalls dann wenn Anton einmal pünktlich heimkam, gegenseitig ihren Tages-
ablauf und die neuesten Geschehnisse schilderten, trafen zwei derartig unterschiedliche Welten zusammen, dass sie häufig lauthals darüber lachen mussten. Ebenso häufig führten sie hitzige Diskussionen über die Interpretationshoheit aktueller politischer Ereig-
nisse. Sie gab jetzt etwas mehr Gas, denn Anton hatte versprochen, nach seiner wichtigen Konferenz heute erstmals seit Wochen wieder zu einem vernünftigen Zeitpunkt nach Hause zu kommen. Sie wollte noch etwas kochen und hatte auf dem idyllischen Hof zumindest alles eingekauft, um nachher ein paar saftige Lammkoteletts grillen und einen knackigen Salat zubereiten zu können. Es war schon recht spät und die tief stehende Abendsonne schien schräg und
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