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Macht Vakuum

Macht Vakuum

Titel: Macht Vakuum
Autoren: Ian Bremmer
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den Äußerungen des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble deutlich, der zum Beispiel schrieb, es sei »eine unbestreitbare Tatsache, dass exzessive Staatsausgaben zu einer nicht nachhaltigen Verschuldung und zu Defiziten geführt haben, die jetzt unseren wirtschaftlichen Wohlstand bedrohen«. 11
    Es ist kein Wunder, dass die CDU-Mitglieder in der Regierung Merkel versuchen, sowohl die deutschen Steuerzahler als auch ihren Koalitionspartner zu besänftigen, indem sie versprechen, sie könnten darüber mitentscheiden, wie ihr Geld ausgegeben wird. Berlin weigert sich, den Bürokraten in Brüssel einfach Geld zu geben, damit diese es verwenden, wie sie es für richtig halten. Stattdessen besteht es bei dem Reformprozess in den geretteten Ländern auf einem Mitspracherecht. So weit so gut: Die verschwenderischen Länder in Europa werden sich nie erholen, wenn sie nicht ihre Beamtengehälter, Renten und Gesundheitsausgaben kürzen, bei Bürgern und Unternehmen höhere Steuern eintreiben und im Finanzwesen und bei den Banken noch weitere Reformen durchführen. Da sich die Stimmung in den betroffenen Ländern durch die langfristig angelegten Sparmaßnahmen verschlechtert, haben die dortigen Politiker einen zusätzlichen Anreiz, die deutsche Haltung zu dämonisieren. Fazit: In der Europäischen Union wird es in naher Zukunft viele weitere interne Konflikte geben, und die Europäer werden viel weniger als früher geneigt sein, sich mit Problemen außerhalb ihres Kontinents zu befassen.
    Die EU wird außerdem vom Streit um Grenzen heimgesucht werden.Dank dem Schengener Abkommen, einem 1985 geschlossenen (und 1990 und 1997 aktualisierten) Vertrag, brauchen die Bürger der EU-Mitgliedsstaaten keinen Reisepass, wenn sie sich von einem Mitgliedsland in das andere bewegen. Solange in Europa geborene Personen ohne Pass die Grenzen überschritten, wurde das Abkommen von einer breiten Mehrheit gutgeheißen. Dies ändert sich jedoch unter anderem wegen der Demonstrationen und der Gewalt in Nordafrika, vor der zahlreiche Menschen in Booten über das Mittelmeer fliehen.
    Im April 2011 gelang es mehr als 20000 tunesischen Flüchtlingen, die italienische Insel Lampedusa zu erreichen. Das so überschwemmte Italien rief andere EU-Länder dazu auf, die Last mit ihm zu teilen und einen Teil der Migranten aufzunehmen. Doch der Appell stieß auf taube Ohren. Also stellten die frustrierten italienischen Behörden den Flüchtlingen befristete Aufenthaltsgenehmigungen aus und ermutigten sie dazu, sich in Europa zu verteilen. Frankreich nahm viele der Migranten fest und schickte sie wieder zurück nach Italien. 12 Mehrere Tunesier machten einen Hungerstreik an der italienisch-französischen Grenze, andere schafften es bis Paris. Sie nannten sich Collectif de Lampedusa à Paris und besetzten ein leerstehendes Gebäude, als die französischen Behörden sie abschieben wollten. 13 Rechtsextreme Parteien schüren die Angst, dass eine Flut von Flüchtlingen ohnehin schon finanzschwache Länder heimsuchen könnte. Als Reaktion zieht die Europäische Union in Erwägung, unter »außergewöhnlichen Umständen« wieder Grenzkontrollen einzuführen. Die einst expandierende Union schottet sich heute durch neue Barrieren nach außen ab. Solche Konflikte sind keineswegs selten und werden vermutlich dazu führen, dass Europa in den kommenden Jahren mit sich selbst beschäftigt ist.
    Außerdem hat es noch nie einen starken Antrieb zur Schaffung einer wirklich gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik gegeben, durch die der Kontinent vielleicht größeren internationalen Einfluss in Sicherheitsfragen gewinnen könnte. Deutschland hat eine extrem begrenzte Fähigkeit, seine Interessen im Ausland zu schützen, Großbritannien verweigert sich einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, und nur wenige europäische Länder könnten sich eine massive Erhöhung der Verteidigungsausgaben leisten. Frankreich, Großbritannien und die anderen Nato-Mitglieder handeln nur unter außerordentlichen Umständen, wie zum Beispiel als sie im Jahr 2011 verhinderten, dass der libysche Führer Muammar al-Gaddafi einen großen Teil seines Volkes abschlachtete. Aber sowohl Frankreich als auch Großbritannien haben ihre Verteidigungsausgaben stark gekürzt, um ihre Staatshaushalte zu sanieren.
    Auch Japan, immer noch die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, ist nicht bereit, eine anspruchsvollere internationale Rolle zu spielen. Angesichts seiner imperialen Geschichte ist es
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