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Macht und Rebel

Titel: Macht und Rebel
Autoren: Matias Faldbakken
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das Erwartbare eintritt. So ähnlich ist die Hölle beschrieben worden; du kannst dich drehen und wenden, soviel du willst, du entgehst den Qualen nicht. Und du gewöhnst dich auch nicht an sie. Qualen und Foltern sind da, um zu bleiben. Unentrinnbarkeit und unendliche Wiederholung von der billigsten Sorte.
     
    Ich zwinge mich, ins Bett zu gehen, als die schlimmste Übelkeit vergangen ist. Mittlerweile ist es vier Uhr.

DONNERSTAG
    Nach einer Kavalkade schäbiger Träume beiße ich in den sauren Apfel und stehe auf. Ich habe Lust auf Kaffee, aber als ich in meiner Kochecke stehe, fällt mir die Gurke im Müll ein und lässt mich zurückschrecken wie ein Inzestopfer beim Anblick seines Stiefpapas. So stehe ich splitterfasernackt ohne Kaffee da und gucke dumm.
    Das bin ich: 22-25-27-30-32 Jahre alt, MIT Zigarette, OHNE Unterhose, MIT einem vollkommen gewöhnlichen Äußeren, OHNE Lust, den Tag grauen zu sehen, WOMIT der sich allerdings schon seit ein paar Stunden vergnügt, OHNE mein Wissen, OHNE meinen Willen, aber dennoch – obgleich so wahnsinnig viel Scheußliches OHNE mein Wissen, OHNE meinen Willen geschieht, und egal, wie groß meine Lust ist, dagegen etwas zu unternehmen, daMIT es anders wird – habe ich eingesehen, dass ich OHNE jede Fähigkeit und MITwirkungsmöglichkeit dastehe, etwas MIT meiner eigenen Situation anzufangen, OHNE Interesse an allem, was MIT anderen Leuten als mir passiert, OHNE Interesse für mein eigenes Volk, meine MITbürger und MITbürgerinnen, ich scheiß auf sie, ich scheiß drauf, wenn es MIT meiner eigenen Nation bergab gehen sollte, ich scheiß auf alles, was OHNE mein Land passiert, leider bin ich OHNE jedes MITgefühl für andere Menschen und verspüre zugleich nicht das geringste Bisschen MITleid MIT mir selbst; paradoxerweise stehe ich OHNE die Traute da, mir das Leben zu nehmen. Selbstmord wäre OHNE Zweifel das beste MITtel, die beste Medizin. (Fürs Vaterland sterben, indem man sich das Leben nimmt.)
    Letzthin hat mir der Trick geholfen, alles so langsam wie irgend möglich zu tun. Mein Plan ist jetzt also, mit allem wahnsinnig zu trödeln, bis es halb vier ist. Um vier treffe ich Arolf. Regel Nr. 1: Tu nie mehr als eins auf einmal. Regel Nr. 2: Tu dieses eine so langsam, wie du kannst. Regel Nr. 3: Denk an etwas anderes, während du das eine tust; das erhöht die Chance, dass du vergisst, was du tust, und du kannst es gleich noch einmal tun. Regel Nr. 4: Wenn eins erledigt ist, denke genau nach, bevor du das Nächste angehst; du kannst dich gern mehrmals umentscheiden, bevor du loslegst; Regel Nr. 5: Fühl dich nicht verpflichtet, irgendwas fertig zu machen. Es ist zweckdienlich, Prozesse mittendrin abzubrechen. Regel Nr. 6: Geh unter gar keinen Umständen aus dem Haus, bevor du fünf bis sieben verschiedene Dinge getan hast (ganz oder unvollständig).
    Ich bin noch beim ersten: eine rauchen. Danach erwäge ich, ob ich duschen soll, beschließe aber, lieber erstmal noch eine zu rauchen. Ich kombiniere das damit, aus dem Fenster zu schauen, obgleich das eigentlich Regel Nr. 1 widerspricht. Ich schaue auf die Straße runter, einem Typen aufs Haupt, der mich unheimlich an Niko erinnert, einen dämlichen Idioten, mit dem ich auf der Schule war. Soweit ich weiß, hat Niko selten oder nie irgendein Feedback auf sein Äußeres bekommen. Mit gutem Grund. Schon auf der Sekundarstufe war sein Haar so dünn und wuschig wie seine ganze Persönlichkeit. Sein BWL-Studium lief ganz gut, bis auf einen kleineren Rückschlag wg. allzu eifrigen Koksgenusses, aber das hatte er bald aufgeholt und einen ziemlich hohen Job bei irgendeinem Multi abgegriffen. Das letzte Mal, als ich ihn getroffen habe, erlebte er gerade einen der enthusiastischsten Koks-Rückfälle, die ich je gesehen habe. Er zog sich vier ungesund fette Lines rein, dann schleppte er Sun Yong – unter Freunden gern Fick-Ding genannt – ins Schlafzimmer ab; irgendwie hatte er sie hinter aller Rücken bequatscht. Den restlichen Abend über langweilten Arolf und ich uns massiv und hörten dabei durch die Rigips-Platten, wie Niko herumferkelte. Dass man dabei nur ihn selber übereifrig stöhnen hörte, ließ für die Qualität des Ficks nichts Gutes ahnen.
    Ich sehe das Rauchen als erledigt an und gehe duschen. Diesmal mit Seife. Und immer so weiter, immer eins nach dem anderen, im Schneckentempo, bis halb vier. Ich werfe sogar noch die Tüte samt Salatgurke in den Müllschlucker. Was rund eine Viertelstunde beansprucht.
    Schlag
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