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Macht der Toten

Macht der Toten

Titel: Macht der Toten
Autoren: Marcel Feige
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»Trotzdem habe ich Sie gefunden. Die ganze Heimlichtuerei hat nichts gebracht. Das hat am Ende auch Ihre Tante eingesehen. Sie war glücklich, dass alles endlich ein Ende hatte und sie ihr Geheimnis preisgeben konnte.« Er dämpfte seine Stimme. »So glücklich, dass Sie mir anvertraute, dass ihre kleine Beatrice das Schmuckstück der Familie ist, diejenige, die das ganze Geheimnis…«
    Beatrice hörte nicht mehr zu. Es war widerwärtig, was dieser Mann, der vorgab, im Auftrag Gottes zu handeln, von sich gab. Sie wusste, dass er log. Angela-Marie hätte sie nie verraten. Er wollte sie verletzen mit seinen Worten, ihren Widerstand brechen.
    Sie hörte ihn niesen. Schniefend sagte er: »… jetzt ist erst einmal wichtig, dass Sie wieder unter uns sind.«
    »Für wie lange noch?«, spuckte sie hervor. Neben ihm lag ihr Rucksack. Er war offen. Also hatte er gefunden, was er suchte. Warum hatte er sie dann überhaupt noch am Leben gelassen?
    »Was ich vorgefunden habe, überrascht mich«, sagte er.
    »Es ist doch das, was Sie gesucht haben?« Sie hatte kein Problem damit, die Wahrheit auszusprechen. »Für das Menschen sterben mussten?«
    »Manchmal macht man Dinge, weil man glaubt, sie machen zu müssen.«
    Dass er erneut die Worte ihrer Tante in den Mund nahm, erfüllte sie mit Zorn. Doch sie erlaubte sich nicht, es ihm zu zeigen. Klammheimlich bemühte sie sich, eine Hand aus den Schnüren hinter ihrem Rücken zu befreien. Aber außer dass das rostige Bettgestell quietschte und das Seil sich tiefer in ihre Haut schnitt, erreichte sie nichts.
    Trotzig sagte sie: »Und? Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie gemacht haben?«
    »Vielleicht.«
    Irgendetwas an seinem Tonfall ließ sie aufhorchen. »Was wollen Sie denn noch?«
    Er musterte sie. Sie bewegte sich nicht. Er hustete, bevor er sagte: »Erklären Sie mir, wie es funktioniert.«
    Verständnislos erwiderte sie seinen Blick. »Wie bitte?«
    »Ich sagte«, knurrte er, und sein Tonfall verriet seine wachsende Ungeduld, »Sie sollen mir zeigen, wie es funktioniert.« Ihr fiel auf, dass er schon seit Minuten seine Zähne nicht mehr in den Kaugummi grub.
    Beatrice begriff, warum sie noch lebte. Ihr Blick suchte die kleine schlichte Metallschatulle, die neben dem Rucksack lag. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass der wertvolle Inhalt seiner Macht beraubt worden sein sollte.
    Sie wandte sich dem Priester zu. Trieb er ein Spiel mit ihr? Aber da war nichts in seinem Gesicht, was darauf hindeutete. Entdeckte sie gar eine Spur Verzweiflung? »Machen Sie mich los.«
    »Sie scherzen.«
    »Jetzt machen Sie schon«, drängte sie. »Sie wollen doch, dass ich Ihnen zeige, wie es funktioniert.«
    Natürlich würde sie einen Teufel tun, es ihm tatsächlich zu verraten; ganz abgesehen davon, dass es am Achat keinen versteckten Mechanismus gab, der es in Gang setzte. Seine Kraft gewann es ganz von selbst, und jeder, der es berührte, konnte an dem Wissen, das es barg, teilhaben. Doch sie wollte wissen, ob es stimmte, was die Worte des Geistlichen andeuteten: Funktionierte das Achat nicht mehr?
    Vor allem wollte sie jedoch, dass er sie von den verflixten Fesseln befreite. Danach würde sie weitersehen.
    Er schien zu ahnen, dass sie etwas im Schilde führte. Seine Kiefer setzten sich wieder in Bewegung, bearbeiteten den Kaugummi. »Wenn Sie Dummheiten machen, werden Sie keine Zeit mehr haben, sie zu bereuen.«
    Sie hatte keine Zweifel, dass er trotz seines Alters kräftiger als sie und skrupellos genug war, sie ohne weitere Warnung zu töten. Andererseits: Umbringen würde er sie sowieso, früher oder später, sobald er sein Ziel erreicht hatte. Nur einem mysteriösen Zufall war es zu verdanken, dass sie überhaupt noch lebte, und diese Chance gedachte sie zu nutzen.
    Er packte sie an den Schultern und drehte sie um. Das Bett erhob ein jämmerliches Wimmern. Nicht mehr lange, und der Rost würde die Schrauben und Verstrebungen lösen, das Gestell würde in sich zusammenkrachen, die Matratze zu Staub zerfallen und sie beide würden auf dem kalten Betonboden landen. Er blieb von der drohenden Gefahr unbeeindruckt, löste die Knoten, bis ihre Hände frei waren. Sie richtete sich auf, massierte die brennenden Abdrücke auf ihrer Haut.
    Wachsam beobachtete er sie. »Und jetzt?«
    Sie wollte nach der Schatulle greifen, ließ es aber bleiben. »Geben Sie sie mir!«
    Er griff nach der Metallschachtel. Er schien nichts zu spüren. Aber sie zog noch keinerlei Schlüsse daraus. Auch sie hatte im
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