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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Autoren: Volker Reinhardt
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Bürgerreligion, die Patriotismus erzeugte, und einen Gemeinwillen, der den Staat stärkte und festigte.
    Die Tradition des «guten» Machiavelli griffen die preußischen Reformer wieder auf, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Mitteln und Wegen suchten, um die Hegemonie Napoleons zu stürzen. Für den Militärtheoretiker Carl von Clausewitz wurde der Machiavelli der «Kriegskunst» zum Wegweiser, weil er den Faktor der Disziplin und damit der staatsbürgerlichen Gesinnung so hoch veranschlagte. Unvermutet wurde der Florentiner auf diese Weise zum Vordenker des nationalen Befreiungskampfs gegen das übermächtige Frankreich. In Italien selbst wurde Machiavelli zum Propheten der nationalen Einigung, des Risorgimento, erhoben. Hatte er nicht im Schlusskapitel des Buchs vom Fürsten dazu aufgerufen, die Fremden aus Italien zu vertreiben? Als italienische Truppen am 20. September 1870 die päpstliche Hauptstadt Rom stürmten, lautete die Tagesparole deshalb «Machiavelli».
    Dabei hatte sich Machiavelli wie alle großen Staatsdenker und Historiker in seiner Zeit als miserabler Prophet erwiesen. Florenz erlebte bald nach seinem Tod den vollendeten Fürsten, doch entsprach dieser nicht dem Bild Machiavellis. Als Herzog von Florenz und späterer Großherzog der Toskana schloss Cosimo I. aus der Nebenlinie des Hauses Medici einen Pakt mit der Elite, der ihm die oberste militärische Macht, die uneingeschränkte Propagandahoheit und die Besetzung der Führungspositionen übertrug; die alte republikanische Führungsschicht erhielt die alleinige Anwartschaft auf die prestigeträchtigen Ämter, Adelstitel und die Exklusivität bei Hof. Auch das Volk ging bei diesem Arrangement nicht leer aus. Den kleinen Leuten garantierte der Medici-Fürst erschwingliche Brotpreise, eine milde Justiz und weitreichende Freiheiten im Alltag. Das war kein starker Staat im Sinne Machiavellis; die Medici folgten vielmehr den Vorschlägen seines Briefpartners Francesco Vettori, der nach 1530 zu ihrem Chefberater aufstieg. Und sie fuhren bis zu ihrem Aussterben im Jahr 1737 gut damit, denn eine saturierte Elite und ein zufriedenes Volk gewährleisteten Stabilität. Selbst militärischer Erfolg stellte sich ein. Cosimo I. eroberte 1555 die Republik Siena und damit die Südhälfte der Toskana. Dabei ließ er die militärischen Operationen von seinen Generälen durchführen; er selbst begnügte sich mit der Rolle des planenden Strategen in der Studierstube. Auch das lief den Rezepten Machiavellis zuwider.
    Doch nicht nur Machiavellis Idealfürst blieb aus, auch die von ihm erträumte Republik wurde niemals Wirklichkeit. Nicht den Reichsstädten, sondern den fürstlichen Territorien gehörte die Zukunft in Deutschland. Nicht der Rückgriff auf das altrömische Heidentum, sondern die Rückbesinnung auf das frühe Christentum prägte das Zeitklima. Und der moderne Staat entstand nicht aus den wenigen übrig gebliebenen Republiken wie Venedig und den eidgenössischen Kantonen, sondern aus der zentralisierten Monarchie. Als Propheten nahmen Machiavelli gleichwohl die Diktatoren des 20. Jahrhunderts für sich in Anspruch. Für Benito Mussolini, den Begründer des italienischen Faschismus, dachte Machiavelli den totalitären Machtstaat voraus.
    Eine solche Einschätzung ist richtig und falsch zugleich. Richtig ist, dass Machiavellis ideale Republik den Bürger ganz für sich beanspruchte und durch Propaganda formte, Individuen vernichten durfte, wenn es die Größe des Staates gebot, und Krieg führen musste, um sich selbst im Inneren zu erhalten und andere Staaten zu erobern. Richtig ist aber auch, dass in dieser Republik alle, ob einflussreich oder namenlos, vor dem Gesetz gleich waren, ihre Macht nur befristet ausüben durften und danach klaglos abtreten mussten. Kein politischer Denker der Frühen Neuzeit konnte die menschenverachtende Effizienz des totalitären Staats im 20. Jahrhundert auch nur ansatzweise vorausahnen. Und schließlich dachte Machiavelli den starken Staat auch deshalb voraus, weil der Staat seiner Zeit zu schwach war, um seine Aufgabe als Garant von Recht und Gesetz zu erfüllen. Das aber war nicht das Ziel der totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts.
    Das alles soll Machiavelli, den intellektuellen Provokateur, weder entschärfen noch entschuldigen. Wer ihn heute als Vordenker der pluralistischen, auf die Menschenrechte gestützten Demokratie vereinnahmt, verfälscht seine Zeit und seine Anliegen. Dasselbe gilt für
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