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Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde

Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde

Titel: Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde
Autoren: Lisa Unger
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seiner Gewalt.«
    »Bist du verrückt geworden? Wovon redest du da?«, rief Jeffrey, schlang sich ein Handtuch um die Hüften und riss die Tür auf.
    »Jeffrey, ich muss los. Ich habe keine Zeit. Wir treffen uns in der Kirche, komm mit Verstärkung nach«, rief Lydia ihm von der Treppe aus zu.
    »Lydia, denk nicht einmal im Traum daran, dich allein mit diesem Typen … Lydia? Verdammt!«
    Sie war schon weg. Sekunden später hörte er den Mercedes auf der Einfahrt. In weniger als fünf Minuten zog er sich an und stürzte ihr nach. Falls Bernard Hugo ihr nicht den Hals umdrehte, würde er es tun.
    Simon Morrow fragte sich, wann jemand zum letzten Mal versucht hatte, das Licht im Archivkeller des Krankenhauses einzuschalten. Er stand mit einem Pfleger in der Tür und legte den Schalter immer wieder um, aber die Neonröhren flackerten nur kurz auf.
    »Hier unten gibt es anscheinend keinen Strom und keine Heizung mehr«, sagte der Pfleger.
    Morrow zog eine Stableuchte aus der Tasche und ließ den Lichtkegel über die Aktenschränke wandern. Alles war von einer dicken Staubschicht bedeckt. Deutlich erkannte man die Fußspuren des letzten Besuchers, der den fußballfeldgroßen Raum der Länge nach durchquert hatte.
    »Seit wann war niemand mehr hier unten?«, fragte Morrow.
    »Hier unten ist nie jemand. Alle Akten sind längst digitalisiert.«
    Seine letzten glücklichen Tage hatte Bernard Hugo in diesem Krankenhaus verbracht. Das war Morrows zweite Eingebung gewesen. Wie es aussah, stand es zwei zu null für ihn. Mit gezogener Waffe und erhobener Taschenlampe folgte er Hugos Fußspuren im Staub, die ihn durch ein Gewirr von Gängen führten und in einer Ecke bei einem Schlafsack, leeren McDonald’s-Verpackungen und einem Stapel medizinischer Lehrbücher endeten.
    »Hugo, wo bist du?«, murmelte Morrow, ging in die Knie und nahm ein Buch.
    Er blätterte darin und stieß einen leisen Pfiff aus. Jede weiße Stelle war mit irrwitzigen Skizzen bedeckt, die von Tod und Sterben handelten. Blutverschmierte Klauen, von denen menschliche Organe baumelten, ein Christus am Kreuz mit geöffnetem Torso und ausgeräumtem Bauchraum, ein enthaupteter Hund. Hugo hatte Junos Namen über jedes einzelne Bild geschrieben, in breiter, dunkler Schrift, so als hätte er den Füller wieder und wieder über das Papier gezogen. Beim Anblick der Zeichnung auf der letzten Seite ließ Morrow das Buch fallen und rannte wie ein Berserker zum Ausgang.
    Der Pfleger, der den Chief in den Keller begleitet hatte, hob das Buch mit mürrischem Grunzen vom Boden auf. Sein Blick fiel auf die Zeichnung einer Kirche. Ein Blitz fuhr vom Himmel herunter, das Gebäude stand in Flammen. In der Kirche drängten sich ein Mann, eine Frau und ein Kind glücklich aneinander. Rechts und links von ihnen hingen zwei Gekreuzigte: eine Frau mit aufgeschlitztem Unterleib und ein Mann mit ausgestochenen Augen.

SECHSUNDZWANZIG
    D ie Baumrinde an seinen empfindlichen Fingerspitzen fühlte sich vertraut an. Der Wind pfiff ein Lied, das Juno gut kannte. Er spürte die Brise im Gesicht und konnte den Kirchgarten riechen, so wie früher als Kind. Juno hatte nach Hause gefunden. Es hatte eine Weile gedauert, aber nun war es, als heiße die Kirche ihn mit offenen Armen willkommen.
    Aber sobald er die flachen Stufen am Eingang erklommen und die schwere Holztür aufgestoßen hatte und eingetreten war, spürte er die veränderte Atmosphäre wie einen Luftzug auf der Haut. Als er ein leises Kichern hörte, stellten sich seine Nackenhaare auf.
    Juno reagierte nicht, sondern stützte sich stumm an der letzten Bankreihe ab. Vielleicht war er nur deswegen zurückgekommen. Immerhin hatte Lydia ihn vor dem Irren gewarnt, der es möglicherweise auf ihn abgesehen hatte. Vielleicht war Juno ja auch feige und beging Selbstmord, weil er mit der Realität jetzt nichts mehr anfangen konnte.
    »Es ist perfekt«, hörte er Bernard Hugo sagen. »Wir alle sind Teil eines göttlichen Plans, finden Sie nicht auch, Juno? Ich habe Sie nicht einmal suchen müssen. Sie sind zu mir gekommen.«
    Seine Schmerzen und sein Zorn glichen einer pulsierenden Hitzewelle, die Juno durchströmte wie elektrischer Strom. Hugos kalte, abgehackte Stimme erinnerte an ein Metronom. Juno wusste, dass es das Beste war zu schweigen. Die Stimme zu erheben wäre wie ein Streichholz an eine Lunte zu halten.
    »Wenn ein Raubtier seine Beute verfolgt, im Urwald oder in der Savanne, erlebt das Opfer in der Sekunde, bevor die Jagd beginnt,
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