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Luther. Die Drohung

Luther. Die Drohung

Titel: Luther. Die Drohung
Autoren: N Cross
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seiner Krallen auf dem Asphalt hören.
    Er sieht dem Fuchs nach, bis er verschwindet, und geht zurück zu
seinem Auto.
    Er wartet, bis die Wintersonne aufzugehen beginnt und die ersten
Jogger vorbeilaufen. Dann fährt er nach Hause.

2
    Um kurz vor sechs geht Luther durch die rote Tür.
    Zoe ist schon auf. Sie ist in der Küche und macht Kaffee, noch
ungekämmt und hinreißend in ihrem Seidenpyjama. Sie riecht nach Schlaf und
Zuhause und diesem Duft hinter ihren Ohren, dem Duft ihrer Haut.
    Sie nimmt eine Packung Orangensaft aus dem Kühlschrank, schenkt sich
ein Glas ein. »Und, hast du es ihr gesagt?«
    »Babe«, sagt er, während er sich den Mantel auszieht. »Es tut mir
leid. Ich hatte keine Gelegenheit.«
    Sie trinkt fast das ganze Glas Saft aus und wischt sich mit dem
Handrücken den Mund ab. »Was genau meinst du damit?«
    Luther nickt in Richtung Fußboden. Das verrät ihn, es ist das
Zeichen, dass er lügt. Er weiß das. Er sagt: »Es war einfach nicht der richtige
Zeitpunkt.«
    »Es ist nie der richtige Zeitpunkt.« Sie stellt den Saft zurück in
den Kühlschrank. Dann verschränkt sie die Arme, zählt im Kopf von fünf an
rückwärts. »Willst du es wirklich machen?«
    »Ja«, antwortet er. »Ja, auf jeden Fall.«
    »Denn du siehst aus wie ein Zombie, John. Du siehst wirklich krank
aus. Wann hast du zum letzten Mal geschlafen?«
    Er weiß es nicht. Aber er weiß, dass mit seinem Kopf etwas nicht
stimmt. In der Nacht springt sein Schädel auf und Spinnen krabbeln hinein.
    »Wann hast du zum letzten Mal überhaupt irgendwas gemacht«, fragt
sie, »außer zu arbeiten?«
    Zoe ist Anwältin, spezialisiert auf Menschenrechte und
Immigration. Sie verdient gut; sie haben ein hübsches viktorianisches Haus mit
einer roten Tür. Drinnen ein wenig abgenutzt. Zerkratzte Fußleisten.
Siebzigerjahre-Heizung. Keine Kinder. Viele Bücher.
    Eines Morgens drehte sie sich im Bett zu ihm um, den Kopf auf die
Hand gestützt, das Haar zerzaust und wild. Winterregen schlug wie Kieselsteine
gegen das Fenster. Die Zentralheizung hatte den Geist aufgegeben: Sie hatten in
Socken geschlafen. Es war zu kalt, um aufzustehen.
    Sie sagte: »Scheiß drauf. Lass uns irgendwohin fahren.«
    »Wohin?«, fragte er.
    »Keine Ahnung. Irgendwohin. Egal. Wann waren wir das letzte Mal im
Urlaub?«
    »Wir waren doch auf dem Boot.«
    Er meinte einen Urlaub mit Zoes Kollegin und ihrem Mann. Fotos
zeigten vier lächelnde Menschen, die am Steuer eines Hausboots standen und
Weingläser hoben. Aber es war eine Katastrophe gewesen: Luther isoliert und
zurückgezogen, Zoe gereizt und verkrampft fröhlich.
    »Das kann nicht der letzte Urlaub gewesen sein«, sagte Luther.
    »Welcher dann? Wo sind wir gewesen?«
    Er wusste es nicht.
    »Wir beide haben einander so viel versprochen«, sagte Zoe und
beendete das Schweigen. »Wie es sein würde. Dass wir reisen. Dass wir Zeit
miteinander verbringen. Wie kommt es also, dass nichts davon wahr geworden
ist?«
    Er lag auf dem Rücken und lauschte dem eisigen Regen. Dann drehte er
sich um, stützte sich auf den Ellbogen und fragte: »Bist du glücklich?«
    »Nein, eigentlich nicht. Und du?«
    Sein Herz hämmerte in der Brust.
    »Wir leben von einem Tag zum nächsten«, sagte sie. »Wir reden kaum
miteinander. Ich will einfach ein bisschen mehr von dir haben. Wir sind
verheiratet, und ich möchte, dass es sich auch so anfühlt.«
    »Ich auch«, sagte er. »Aber sieh mal – wenn unser größtes Problem
ist, dass wir mehr Zeit miteinander verbringen wollen, na ja … das ist nicht so
schlecht, oder? Im Vergleich zu anderen Leuten.«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    Luther liebt seine Frau. Sie ist der Strohhalm, an den er sich
klammert. Er kann nicht begreifen, dass er ihr das sagen muss. Wenn er es
versucht, wird sie verlegen: Sie lacht und macht ein gespielt entsetztes
Gesicht.
    Als er an jenem kalten Morgen im Bett lag, schob er die Gedanken an
den toten Teenager beiseite und fragte: »Also, was schlägst du vor?«
    »Wir nehmen uns ein Jahr frei«, antwortete sie. »Vermieten das Haus,
um den Kredit weiter abzuzahlen.«
    »Ich will nicht, dass Fremde in meinem Haus wohnen.«
    Sie tätschelte ihm ungeduldig den Oberarm. »Lässt du mich ausreden?
Kann ich wenigstens ausreden?«
    »Sorry.«
    »Na ja, es gibt eigentlich nicht mehr viel zu sagen. Wir … wir
packen einfach und fahren los.«
    »Wohin?«
    »Egal. Wo willst du hin?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Irgendwohin musst du wollen.«
    »In die Antarktis.«
    »Gut«,
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