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Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 07 - Tödliche Geschäfte

Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 07 - Tödliche Geschäfte

Titel: Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 07 - Tödliche Geschäfte
Autoren: Karin Wahlberg
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Sie saß auf einem höhenverstellbaren Hocker aus rostfreiem Stahl neben der Patientin, die mit entblößtem Bauch auf einer Pritsche lag. Sie hatte eine Bauchoperation hinter sich; Teile des Dünndarms waren entfernt worden. Sie hatte den Eingriff gut überstanden. Aber jetzt war auf einmal ein roter, warmer, fluktuierender und schmerzender Fleck unter ihrem Nabel aufgetaucht, handtellergroß. Eine Infektion. Der Eiter muss raus, lautete eine alte, gute Regel.
    Veronika entfernte ein paar Klammern, die die Wundränder zusammenhielten, und bereitete dann eine Spritze mit einem örtlichen Betäubungsmittel vor. Sie konnte sich dummerweise die Bemerkung nicht verkneifen, dass sie ja über das Alter zum Kinderkriegen schon hinaus sei. Eigentlich. Was für die Patientin an sich nicht von Interesse war, schließlich ging es hier nicht um sie, die Ärztin.
    »Das schaffen Sie schon, ganz sicher«, meinte die Patientin aufmunternd. »Früher war es fast eine Schande, im fortgeschrittenen Alter noch ein Kind zu erwarten. So ist es, Gott sei Dank, nicht mehr.«
    Veronika öffnete die Wunde vorsichtig mit einer Péan-Klemme. Der Eiter lief ab, und die Schmerzen ließen nach. Es stank. Sie wischte den Eiter weg und drückte dann vorsichtig auf die Schwellung, damit alles ablief. Eine angenehme Ruhe breitete sich im Zimmer aus.
    »Mongoloide Kinder in die Welt setzen! Das sagte man früher«, fuhr die Frau fort.
    »Sagte man das wirklich ohne Umschweife?«
    »Ja, allerdings. Als ich mit einem neuen Mann in andere Umstände kam, war ich über vierzig. Damals gab es diese ganzen modernen Untersuchungsmethoden ja noch nicht. Es war mein erstes Kind … und blieb mein einziges. An eine Abtreibung war auch nicht zu denken, das war nicht erlaubt, wenn nicht besondere Umstände vorlagen. Man musste schon verrückt sein oder so. Wir waren selig, mein Mann und ich.«
    Veronika spürte die unverwüstliche Mischung aus ungetrübter Freude und Hoffnung, die jenseits aller Sorge und Erniedrigung existierte. Sie hörte jedoch auch etwas anderes heraus und hoffte, dass die Schwester nicht gerade jetzt hereinstürmen und den Bann brechen würde.
    »Das Mädchen tauften wir Stina. Sie hat ihren Eltern große Freude bereitet.«
    Die Augen unter den dünnen Lidern funkelten wie Kristalle. Die Frau hielt inne, als müsse sie Luft holen.
    »Sie hatte ganz richtig Trisomie 21, wie man das heute nennt.«
    Sie sprach diese Worte, die sie vermutlich oft ausgesprochen, sich aber vermutlich nie an sie gewöhnt hatte, zögernd aus.
    »Stina starb vor zehn Jahren an einem angeborenen Herzfehler.«
    Veronika nickte. Stille breitete sich im Raum aus. Sie warteten immer noch auf den Verband.
    »Das war eine schwere Zeit. Wie sehr sie meinem Mann und mir doch gefehlt hat.«

4
    Ilyas Bank warf einen Blick über die Reling auf den regen Bootsverkehr, der niemandem an Bord entgehen konnte. Kleine Expressfähren fuhren im Zickzack zwischen den größeren Schiffen hindurch, die auf der Reede darauf warteten, den Bosporus passieren zu dürfen, den engen Sund zum Schwarzen Meer, den auch er soeben durchfahren hatte.
    Er verkaufte Tee auf der Fähre, es war Nachmittag, und er wurde langsam müde. Aber sein Arbeitstag war noch lange nicht zu Ende.
    Routiniert füllte er Wasser nach und schaltete den Samowar wieder ein. Dann tauchte er die kleinen, tulpenförmigen Gläser, die dicht gedrängt auf einem Tablett standen, ins Spülbecken, fischte sie rasch wieder heraus und stellte sie zum Abtropfen auf ein Gestell, das an der Wand hing. Im Vorbeigehen nickte er Ergün zu, der in seinem Kiosk endlich eine leere Theke vor sich hatte und sich an der Reling eine Zigarette genehmigen konnte.
    Ergün gab ihm ein Zeichen, er solle sich zu ihm gesellen. Ilyas rauchte nicht, aber stellte sich gehorsam mit über der Brust verschränkten Armen neben ihn. Jenseits des Wassers lag die Stadt mit ihren heruntergekommenen Vierteln und ihren gewaltigen Kuppeln, eine neben der anderen, flankiert von schlanken Minaretten, die in den Himmel hinaufragten.
    Die beiden Männer schwiegen. Ein angenehmes Schweigen.
    Die von Dieseldämpfen und Abgasen geschwängerte Luft vibrierte, als sie sich dem Kai von Eminönü näherten. Die Touristen hatten sich wie die Herdentiere bereits von den Bänken erhoben und nach vorne begeben, um möglichst als Erste die Fähre zu verlassen. Jetzt standen sie in Grüppchen beisammen und betrachteten die Hafeneinfahrt. Einige Reisende waren sitzen geblieben. Ein
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