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Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Titel: Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
Autoren: Melanie Vogltanz
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dass Sie sich nicht verbrennen«, meckerte Agnes, und
ihre knotigen Finger packten seine Füße entschlossen, um sie wie verschobene
Möbelstücke wieder an ihren rechten Platz zu rücken. »Verbrennungen sind die
schlimmsten Verletzungen, die es gibt. Sehr schmerzhaft.«
    »Hm«,
machte Freudt. Als die Krähe ihm die Augen aus dem Kopf geschält hatte, war das
auch keine wohltuende Massage gewesen, doch er würde die alte Dame nicht vor
den Kopf stoßen, indem er sie darauf aufmerksam machte. Sie hielt ihn ohnehin
schon für einen verschrobenen Kriegsveteranen, dem die Nacht der Veränderung –
wie so vielen anderen – den Verstand gekostet hatte.
    »Lassen
Sie das Feuer trotzdem noch brennen. Es wird über Nacht schon von ganz allein
ausgehen.«
    Agnes
schnaufte vielsagend, und er konnte sich geradezu bildlich vorstellen, wie sie
die Hände in die Hüften stemmte und den Kopf schüttelte. »Meinetwegen. Aber
bleiben Sie nicht zu lange wach, Sie brauchen Ihren Schlaf.«
    »Das
lassen Sie mal schön meine Sorge sein«, gab Freudt zurück. »Und nun gehen Sie
ruhig. Ich brauche Sie heute nicht mehr.«
    Wieder
schnaufte Agnes, diesmal jedoch, weil sie sich nach ihren Schuhen bückte.
Freudt konnte deutlich hören, wie die Dielen im Vorzimmer unter dem Gewicht der
ältlichen Dame knarrten.
    »Wie
Sie meinen, Herr Freudt, wie Sie meinen. Soll ich noch dieses Buch ins Regal
zurückstellen?«
    Längst
hatte sie es aufgegeben, danach zu fragen, weshalb ein Blinder ein Buch
brauchte, doch Freudt wusste sehr gut, wie unangenehm ihr der Anblick des Folianten
war.
    »Nein,
das ist nicht notwendig, das schaffe ich selbst. Gehen Sie nur, sonst erwischen
Sie Ihren Bus nicht.«
    »Ach
ja, der Bus.« Agnes ächzte und ihre Gelenke knackten hörbar, als sie ihre
Körpermasse wieder hochwuchtete, was erneut von einem Krachen der Bodendielen
begleitet wurde. »Gute Nacht, Herr Freudt. Bis morgen früh.«
    Im
nächsten Moment wurde die Tür geöffnet und fiel gleich darauf wieder ins
Schloss. Stille kehrte ein, die nur durch das Knistern der Flammen und Freudts
eigenen Atem durchbrochen wurde.
    Seine
rechte Hand streichelte über den Einband, liebkoste ihn geradezu, während seine
linke nach den beiden Löchern tastete, die sein Gesicht auf ewig entstellten. Die
Berührung schmerzte, aber manchmal war Schmerz wichtig, um sich wieder daran zu
erinnern, wofür man einmal gelitten hatte.
    »Ich
bin ein schlechter Mensch«, vertraute er seiner leeren Wohnung an. »Und ein
Feigling.«
    Du tust nur, was jeder andere an deiner Stelle auch tun würde , erwiderte das Buch, was es manchmal zu tun pflegte. Niemand würde
anders handeln.
    »Ich
hätte dich bereits in der ersten Nacht vernichten sollen«, widersprach Freudt.
»So wie ich es geschworen habe.«
    Vielleicht. Die Stimme des Buches kicherte
schadenfroh. Aber nun kennst du mich. Nun brauchst du mich. Ich kann
dir dein Augenlicht wiedergeben. Das weißt du doch, nicht wahr? Deshalb willst
du mich immer in deiner Nähe haben. Weil du weißt, dass ich zu solchen großen
Taten imstande bin.
    »Du
hast es oft genug erwähnt«, gab Freudt zurück. »Und ich habe oft genug abgelehnt.«
    Zu oft. Bald wirst du einbrechen. Wie sie alle irgendwann einbrechen.
Sie alle.
    Freudt
wusste, dass es stimmte. Nicht mehr lange, und er würde nicht mehr standhalten
können. Der Wunsch in ihm, wieder sehen zu können, war einfach zu groß. Selbst
wenn er heute widerstand, könnte er bereits morgen die Waffen strecken. Er war
einfach zu schwach.
    Lass es zu , wisperte die Stimme auf ihn ein. Lass
mich dir helfen. Zusammen werden wir das Licht sehen, Freudt. Das Licht.
    »Das
Licht«, wiederholte er, und seine Hände verkrampften sich um den Band. Bei
Gott, wie sehr er sich danach sehnte, das Licht zu sehen.
    Wieder
streckte er die Beine aus, und Schmerz zuckte durch seine Fußsohlen, als er den
Flammen zu nahe kam und seine Haut sich durch die Hitze aufwellte. Der
stechende Gestank nach verschmortem Fleisch stieg ihm in die Nase. Vor seinem
geistigen Auge, das seit seiner Erblindung besser funktionierte, als seine
äußeren Sehorgane es jemals getan hatten, erschienen die Gesichter seiner Frau
und seiner beiden Kinder. Linda. Tina. Philipp. Seine Brust verkrampfte sich
vor Trauer. Seine Familie. Auch dies war eine Wunde, auf die er immer wieder
den Finger legen musste, um nicht zu vergessen.
    Nun, was ist? , fragte die Stimme hartnäckig. Was
wählst du? Die ewige Finsternis – oder das Licht?
    »Es
gibt nur
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