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Lukkas Erbe

Lukkas Erbe

Titel: Lukkas Erbe
Autoren: Petra Hammesfahr
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entgegen, half bei der Suche, weil sie so jammerte, in der Tasche seien wichtige Sachen. Bis er sich nicht mehr beherrschen konnte und das tat, was vor ihm einer der beiden Männer getan hatte. Erst danach kam die Angst.
    Das Mädchen weinte und drohte: «Ich zeig dich an, du Dreckskerl. Ich sorg dafür, dass du eingesperrt wirst.»
    Er wollte nicht eingesperrt werden, legte beide Hände um ihren Hals und drückte zu, bis sie still war und sich nicht mehr bewegte. Danach hatte er noch mehr Angst. Aber er hatte Glück gehabt in der Julinacht vor zwei Jahren. Irgendwann hatte das Mädchen sich wieder bewegt. Als sie vom Boden aufstand und benommen durch die Nacht taumelte, war er noch in der Nähe, hatte sich nicht aufraffen können, den reglosen Körper liegen zu lassen und einfach zu gehen, hatte überlegt, ein Loch im Waldboden auszuheben und sie darin verschwinden zu lassen.
    Er konnte sich auch nicht überwinden, noch einmal die Hände auszustrecken oder mit einem Knüppel zuzuschlagen, war irgendwie erleichtert, als sie aufstand und davonlief. Er folgte ihr – in einiger Entfernung, unschlüssig, wie er sich verhalten sollte.
    Sie lief nicht den Weg, den die Männer im Auto genommen hatten. Sie lief am Bruch entlang, einem alten Bombenkrater, den die Zeit in eine Senke verwandelt hatte. Im Zentrum ragten die Trümmerberge eines ehemaligen Gehöfts auf. Es war ein unheimlicher Ort, die Bruchkante ragte hoch auf neben dem Weg. In der Dunkelheit war nichts zu sehen von dem Unkraut und den moosüberwachsenen Steinhügeln. Dort hätte er sie auch gut verstecken können. Doch als ihm das einfiel, war das Mädchen schon zu nahe am Lässler-Hof.
    Und sie lief weiter, wollte zur Landstraße, hoffte wohl, noch einen Wagen anhalten zu können, der sie nach Lohbergmitnahm. Dort musste sie hin. Aber dort kam sie nie an. Achthundert Meter vom Lässler-Hof entfernt stand noch ein einsames Haus an einer Wegkreuzung, der Bungalow des Rechtsanwalts Heinz Lukka.
    Von zwei Seiten war das große Grundstück von mannshohem Mais umgeben, zu den Wegen hin lag es offen. Bei Tag ragte nur das Walmdach über den Mais hinaus. Bei Nacht sah man schon von weitem den Lichtschein aus dem Wohnraum wie eine Glocke über dem Feld liegen.
    Diesmal war da nur die Dunkelheit, durchbrochen von einem schwach bläulichen Schimmer, den man erst sah, wenn man den Mais hinter sich gelassen hatte und an der offenen Rasenfläche hinter der Terrasse vorbeilief. Das Mädchen hatte inzwischen bemerkt, dass er noch in der Nähe war. Sie dachte wohl an Hilfe und klopfte beim Tod an. Und er tat nichts, um sie aufzuhalten.
    Das Mädchen war die siebzehnjährige Schülerin Svenja Krahl aus Lohberg. Das erste Opfer des Blutsommers 95.   Nicht einmal ihre Eltern vermissten sie wirklich. Svenja Krahl hatte ein Drogenproblem gehabt und an jenem Abend sogar ihre eigene Mutter noch um fünfzig Mark bestohlen, um in der Lohberger Diskothek ein paar Pillen dafür zu kaufen. Als ihr Verschwinden bekannt wurde, gingen alle davon aus, sie sei in der Drogenszene abgetaucht. Bis ihre Leiche gefunden wurde – zusammen mit den anderen Opfern.
    Der Mann hatte in der Julinacht vor zwei Jahren wirklich sehr viel Glück gehabt. Heinz Lukka hatte getan, wozu er nicht in der Lage gewesen war.

Rückkehr
    Zum Besten standen die Dinge nicht für Ben, als Trude ihn im März 96 zurück ins Dorf brachte. Jakob Schlösser hatte sich geweigert, seinen Sohn nach Hause zu holen, und es war nicht allein das schlechte Gewissen, weil er ihn für den Täter gehalten und niedergeschlagen hatte. Inzwischen war auch eine Menge Furcht dabei, Ben könne das nächste Opfer werden.
    Seiner Mutter drohte ein Strafverfahren wegen Begünstigung einer Straftat nach Paragraph 211 des Strafgesetzbuches, weil sie Beweisstücke verbrannt und damit verhindert hatte, dass rechtzeitig kriminalpolizeiliche Ermittlungen aufgenommen werden konnten. Der Staatsanwalt wollte an ihr ein Exempel statuieren.
    Ich wusste, was Trude Schlösser bevorstand. Aber ich wollte mich nicht auch fragen müssen, wer sich um Ben kümmern sollte, wenn sie zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, wer verhindern sollte, dass er erneut herumstreunte, wie er es immer getan hatte. Es wäre ihm nach all den schrecklichen Ereignissen nicht mehr gut bekommen.
    Im Dorf schieden sich die Geister. Für ein paar wenige war Ben ein Held, der einen sadistischen Mörder zur Strecke gebracht hatte. Der Großteil der Bevölkerung vertrat aber nach wie vor
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