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Lukkas Erbe

Lukkas Erbe

Titel: Lukkas Erbe
Autoren: Petra Hammesfahr
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Brigitte. Du verlierst deine Distanz.» Ich hatte sie verloren.
    «Schon gut, Frau Schlösser», sagte ich. «Hören Sie auf zu weinen.» Dann wandte ich mich an ihn und forderte: «Zeig mir, wo du die Mädchen hingelegt hast, dann kannst du nach Hause gehen.»
    Er schüttelte den Kopf. Inzwischen war ich ihm lästig geworden und bedrohlich für seine Mutter. Er sorgte sich um sie, griff nach ihrem Arm und wollte mit ihr auf den Weg.
    «Moment», sagte ich. «Wir sind noch nicht fertig. Ich muss wissen, wo die Mädchen sind.»
    Er schüttelte erneut den Kopf.
    «Du musst es mir zeigen», sagte ich. «Was Heinz Lukka mit Britta Lässler und mit deiner Schwester gemacht hat, war sehr böse. Ich muss wissen, ob mit den anderen dasselbe passiert ist.»
    Er nickte, um mir zu bedeuten, dass mit den anderen dasselbe passiert war. Aber er machte keine Anstalten, mir etwas zu zeigen. «Finger weg?», fragte er.
    Trude beruhigte sich ein wenig und erklärte: «Er will wissen, ob er es falsch gemacht hat.»
    Natürlich hatte er es falsch gemacht, so falsch, dass er für den Rest seines Lebens in einer Anstalt hätte verschwinden müssen. Aber Trude irrte sich. Er wollte nur verhindern, dass ich die Mädchen wegnahm. Das machte er uns auch klar. Er nahm Trude den Klappspaten aus der Hand, machte einen Stich, bückte sich, nahm einen kleinen Stein aus der Kuhle und hielt ihn mir vor. Dann legte er ihn zurück und häufte ein bisschen Erde darüber. «Finger weg», wiederholte er dabei. Missverstehen konnte man das nicht. Ich durfte sie mir mal anschauen.
    «Das geht nicht», sagte ich. «Ich muss sie mitnehmen. Sie haben alle eine Mutter, und ihre Mütter sind sehr traurig, weil sie nicht wissen, wo die Mädchen sind. Du bist doch auch gerne bei deiner Mutter.»
    Er nickte. Ich wandte mich an Trude. «Erklären Sie ihm, wie wichtig es ist. Dass ich für die Mädchen tun muss, was noch getan werden kann.»
    Doch ehe Trude ihm etwas erklären konnte, setzte er sich in Bewegung. Er hatte mich verstanden, auch wenn er noch nicht recht glaubte, dass ich die geschundenen Körper schnell wieder zurück in den ursprünglichen Zustandversetzen konnte. Das konnten nur die Männer mit Leitern und einem Korb. Aber dass die Mütter traurig sein mussten, wollte er nicht.
    Das Grab befand sich auf dem Nachbargrundstück, einer von Brombeersträuchern zugewucherten Wildnis, durchsetzt von Nesseln und Disteln. Wir waren im Hochsommer hier gewesen, als alles in vollem Grün stand und die Beeren an den Sträuchern zu faulen begannen. Ein betäubender Geruch über allem und kein Durchkommen. So hatten wir es gesehen und uns auf den Leichenspürhund verlassen, den es nicht in die Dornen zog.
    Nachdem Ben mir bestätigt hatte, dass sie alle bei einem alten Birnbaum lagen, bedankte ich mich für seine Hilfe und wollte ihn nach Hause schicken. Nur wollte er jetzt nicht mehr gehen. Er wollte sich überzeugen, dass ich mein Versprechen hielt und sie zu ihren Müttern brachte. Aus Erfahrung wusste er, dass wir alles wegwarfen, was wir nicht mehr schön fanden. Sein Vater hatte die Mäuse immer weggeworfen, wenn er sie mit ins Haus brachte. Und schön sahen die Mädchen nicht mehr aus, das war ihm auch bewusst.
    «Du musst gehen», sagte ich. «Wenn ein Mensch erfährt, dass du sie hier begraben hast, werden sie dich wieder einsperren. Ich werde es nicht sagen. Aber ich muss ein paar Männer rufen, die mir helfen.»
    Und so kannte er es, die Männer mit Leitern und einem Korb. Er lächelte mich an – zum ersten Mal, griff nach meiner Hand und drückte sie ganz sachte. «Fein», sagte er, «fein macht.» Es sollte wohl heißen, du bist in Ordnung, versuch dein Glück.
    Zusammen mit ihm und Trude verließ ich die Wildnis, informierte den Staatsanwalt und forderte die Spurensicherung an. Während ich telefonierte, zupfte er mehrfach an meinem Ärmel, zeigte mit ausgestrecktem Arm nachSüden zu Lukkas Bungalow oder dem Lässler-Hof. Es war dieselbe Richtung.
    «Fein», sagte er wieder und: «Freund. Fein macht.»
    Dass er mich darauf aufmerksam machte, im Haus seines Freundes lägen möglicherweise noch zwei Körper, die repariert werden müssten, begriff Trude ebenso wenig wie ich. Es war sein letzter Eindruck von Lukkas Bungalow, der alte Rechtsanwalt und Tanja reglos am Boden.
    «Da kannst du nicht mehr hingehen», sagte Trude und zog ihn zur Seite, damit ich in Ruhe telefonieren konnte. «Auf dem Lässler-Hof sind alle böse mit uns. Und im Bungalow ist
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