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Luegenherz

Luegenherz

Titel: Luegenherz
Autoren: Beatrix Gurian
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gefällt. Aber das mit deiner Mutter ist wirklich etwas anderes, das ist irgendwie …« Sie rudert mit den Händen in der Luft und sucht nach Worten.
    »Ja, du hast recht, ganz genau das ist es!«, stimme ich ihr voller Inbrunst zu.
    Sie schaut einen Moment lang verblüfft zu mir her und dann grinsen wir uns beide an, vollkommen anders als bisher, so auf die Art: Ich verstehe dich aus tiefstem Herzen und ohne Worte. Ein warmes Gefühl breitet sich in meinem Bauch aus. Ich glaube, wir sind gerade Freundinnen geworden.
    Und obwohl ich besser daran arbeiten sollte, das gleich noch weiter zu vertiefen, höre ich schon die klare Frauenstimme von Papas TomTom, wie sie sich triumphierend in meinem Kopf breitmacht und ständig wiederholt: »Sie haben Ihr Ziel erreicht. Sie haben Ihr Ziel erreicht.«
    Dabei ist »erreicht« voll übertrieben, denn das hier ist nur der erste Schritt. Aber es heißt doch, jeder Weg zum Ziel beginnt mit dem ersten Schritt. Und es folgt auch gleich der zweite. Ich knöpfe meine Caprijeans auf.

3. Ally
    Während sich Mila auszieht, um unter die Dusche zu steigen, tue ich so, als würde ich ein Silberblech durch die Walze ziehen. Dabei kann ich in aller Ruhe darüber nachdenken, wie unsensibel ich bin. Klar, Ferdi war fies, aber das, was Mila da zu Hause erlebt hat, ist einfach grauenhaft. Während mein einziges Problem darin besteht, wie ich die Kohle meiner Eltern aus meinem Leben raushalten kann und wie es mir gelingen könnte, ein Mal, nur ein einziges Mal, meinen genialen Bruder auszustechen, hat Mila ein Psychowrack als Mutter. Das muss viel schlimmer sein als eine Staranwältin. Die kann man wenigstens anschreien, wenn man sauer ist. Aber einen Psycho?
    »Hast du hier irgendwo Duschgel?«, ruft Mila aus der Dusche und zwingt mich so, zu ihr hinzusehen.
    »Steht oben auf dem Kabinenrand.« Und während ich das sage, wird mir klar, dass Mila da nicht hinkommt – ich bin zwei Köpfe größer als sie.
    »Warte, ich hol’s dir.« Von hier unten schaffe selbst ich das kaum, ich erwische es gerade so mit den Fingerspitzen.
    Mila zieht eine Tür der Duschkabine auf und streckt mir ihre Hand entgegen. Und obwohl sie sie sofort zurückzieht, sehe ich es doch und muss nach Luft schnappen.
    Narben. Narben von Schnitten, und zwar vom Handgelenk bis zur Schulter. Ich muss mich verguckt haben. Doch nicht Mila. Mila und Ritzen, das passt doch gar nicht!? Mila ist stark, kennt sich aus, weiß alles und hatte einen Freund. Also warum?
    Ich starre durch das Plastik der Duschkabine und wünsche einerseits, ich könnte es noch mal nachprüfen, andererseits wünsche ich mir, ich hätte das nie gesehen. Fast stolpere ich, als ich zu meinem Bett gehe, dann lasse ich mich einfach drauffallen – ich mit meinem elenden Sauberkeitsfimmel.
    Langsam drehe ich meinen Kopf zur Duschkabine, die durch den Perlenvorhang hindurchschimmert. Mila wollte ganz bestimmt nicht, dass ich das sehe. Aber warum hat sie mir den Arm dann hingehalten – oder hat sie diese Narben etwa an beiden Armen …?
    An meiner alten Schule gab es zwei Mädchen, die sich geritzt haben. Meine Eltern hatten mich gezwungen, auf diese katholische Mädchenschule zu gehen, weil sie mich vor Drogen und Übergriffen schützen wollten. Sie dachten, es wäre eine gute Wahl. Doch ich schätze mal, es gab dort mehr Essgestörte als in einer gemischten Schule. Als das mit dem Ritzen rauskam, haben die beiden Mädchen die Schule verlassen. Und weil ich nicht wusste, ob sie deshalb hatten gehen müssen oder ob sie freiwillig weg sind, hatte ich damals kurz überlegt, ob das für mich auch ’ne Methode sein könnte, um von der Schule wegzukommen. Aber ich hatte viel zu viel Schiss, dass die Wunden sich entzünden könnten. Außerdem hasse ich Schmerz – ich würde mir ja nicht mal ein Piercing stechen lassen.
    »Wo ist denn das Handtuch?«, ruft Mila, die das Wasser abgedreht hat.
    Ich suche nach dem allergrößten Handtuch, das ich habe, vielleicht will sie sich richtig verhüllen, um sich vor meinen Blicken zu schützen. Ich tausche die Handtücher aus und reiche ihr das neue.
    Sie rubbelt sich trocken, ich versuche, nicht hinzusehen, aber dann schiele ich doch zu ihr hinüber – und bin erleichtert. Denn der rechte Arm ist unversehrt. Die Narben sind nur links. Sie sind verheilt, aber rot und ziemlich wulstig.
    Mila legt sich das Handtuch lässig um wie eine Toga und macht gar keine Anstalten, die Schnitte zu verdecken.
    »Du hast sie sowieso gesehen, ich
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