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Luegenherz

Luegenherz

Titel: Luegenherz
Autoren: Beatrix Gurian
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Meine Mutter hat eine Mundgeruchpanik und ich wette, mein Bruder leidet unter starker HSP.« Jetzt grinst sie zum ersten Mal heute Abend richtig breit.
    »HSP?«
    »Hairstyleparanoia! Angst, dass seine widerspenstigen Haare nicht perfekt gestylt sind.« Sie kritzelt etwas auf einen Block, dann steckt sie sich den Stift in ihre Haare, wie um klarzumachen, dass sie nicht darunter leidet. Dabei frisiert sie ihre Haare so, dass sie überhaupt nicht zu ihrem Outfit passen: Sie flechtet ihre blonde Mähne zu einem dicken Zopf rund um ihren Kopf, was sie aussehen lässt wie diese Präsidentin irgendwo im Osten, deren Name mir nie einfällt. Und dazu diese schwarzen Klamotten aus Leder und Spitze und Seide.
    Ich habe es einmal riskiert und sie in der Schule beobachtet, als ich noch nicht ganz sicher war, ob sie die Richtige ist. Und dabei ist mir aufgefallen, wie sehr sie sich von den anderen Goldschmiedinnen unterscheidet. Die tragen sogar im Hochsommer Schwarz, aber das sind dann öde Twinsets aus gewebter Seide oder ärmellose Rollkragenpullover und dazu brave Pagenköpfe oder strenge Ballerinenknoten im Nacken.
    »Was ist?«, fragt Ally und mir wird klar, dass ich sie angestarrt habe.
    »Ich beneide dich«, antworte ich.
    »Weil Ferdi meine Sachen abscheulich findet?«
    »Natürlich nicht.« Ich bin wirklich ein Trottel, was für ein Fettnapf! »Hör mal, das war doch alles sowieso eher in deiner Fantasie. Ist doch nicht schlecht, dass du sein wahres Gesicht kennengelernt hast, oder? Ich bin sicher, du kommst darüber hinweg. Mit dem Beneiden habe ich natürlich etwas anderes gemeint. Während ich für dieses sinnlose Abi lernen muss, wohnst du hier allein und kannst sogar schon deinen eigenen Schmuck entwerfen.«
    Nun wird sie endlich mal richtig lebendig. »Mila, kann ja sein, dass ich in Bezug auf Ferdi ein bisschen gesponnen habe, aber eins weiß ich sicher: Man muss nicht alles machen«, sie fuchtelt mit den Händen durch die Luft, um das zu unterstreichen, »was Eltern von einem wollen. Wenn du etwas ändern willst, dann ändere etwas. Überleg dir Argumente und rede mit ihnen. Hey, wenn du kein Abi willst, dann mach’s nicht.«
    »Du hast keine Ahnung! Das geht vielleicht in deiner Familie, aber meine Mutter würde …«
    Ally stöhnt auf. »Ja, Mütter, die nerven immer.«
    »Du verstehst das nicht. Meine Mutter ist sehr speziell.«
    Ally verdreht die Augen. »Wenn du etwas ändern willst, dann musst du auch mit einer speziellen Mutter darüber reden.«
    Okay, klar, sie versteht nicht das Geringste – wie auch, bei ihrem Familienhintergrund. Also muss ich mit etwas richtig Hartem kommen, um sie auf meine Seite zu ziehen und mir ihr Verständnis zu sichern.
    »Als ich mal von zu Hause abgehauen bin, nachdem ich wieder einmal umsonst versucht hatte, mit meinen Eltern zu reden, da …«, jetzt die richtigen Worte wählen, feure ich mich an, »da hat meine Mutter versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden.«
    Ally sackt etwas in sich zusammen. »Oh, das … das ist ja schrecklich«, murmelt sie und schaut mich unsicher an.
    Ich sollte gleich noch eins draufsetzen, um sicherzugehen, dass mein Plan aufgeht. »Mein Vater war nicht da und so hab ich sie gefunden, blutüberströmt, aber gerade noch rechtzeitig …« Plötzlich wird mir ganz heiß, durchströmt mich wieder die Angst, die ich damals hatte, und die Wut auf meine Mutter.
    Ally kommt näher. Nun weiß sie nicht, ob sie mich umarmen soll, diesmal nehme ich ihr die Entscheidung einfach ab und klammere mich an sie, als wäre sie meine Rettung. Ist sie ja auch!
    Ihre Schultern werden hart unter der Berührung, sie versteift sich. Ich gebe eine Art Schluchzen von mir. Sie entspannt sich, drückt mich, löst sich dann und geht einen Schritt zurück. Ich tue schnell so, als würde ich eine Träne abwischen, und starre auf den Boden.
    »Und dann, was geschah dann?«, fragt sie.
    »Nichts, wir reden nicht darüber, sondern tun alle so, als wäre nichts passiert.« Das zumindest stimmt. Meine ganze Familie tut so, als wäre alles in Ordnung, dabei ist nichts in Ordnung. Gar nichts. Aber meine Mutter steckt lieber den Kopf in den Sand, als den Dingen auf den Grund zu gehen. Sie will gar nichts wissen und ich schätze mal, sie würde den Kopf lieber im Sand lassen und daran ersticken, als irgendwas infrage zu stellen oder zu ändern.
    Ally streicht sich über ihre breite Nase. »Tut mir echt leid. Soo leid. Und ich heule rum, bloß weil Ferdi mein Schmuck nicht
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