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Luegenherz

Luegenherz

Titel: Luegenherz
Autoren: Beatrix Gurian
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wirklich mögen. Schließlich macht sie diesen Vorschlag zum ersten Mal. Gehe nicht mit zur Party, aber komm du doch später zu mir und bring deinen Schlafsack mit. Bis heute Abend!, schreibe ich ihr zurück.
    »Scarlett, legen Sie das Handy weg. Sie sollten sich lieber auf den Deutschunterricht konzentrieren oder glauben Sie, dass Sie das nicht nötig haben?«
    Landgraf hat sich angeschlichen und steht jetzt so nah vor mir, dass ich in seine glockenblumenblauen Augen schauen und sein limonenartiges Männerparfüm riechen muss. Er lächelt, als hätte ich ihn amüsiert, und so hat er was von Kurt Russell, als der noch ganz jung war. Ich kenne viele alte Filme, weil meine Oma früher ein Kino in der Türkenstraße hatte. Mein Bruder Jury und ich sind dort quasi aufgewachsen; wahrscheinlich mag ich deshalb auch diese alten Schnulzen. Kurt alias Landgraf scheint auf eine Antwort zu warten, denn er steht immer noch vor mir. Für einen Berufsschullehrer sieht er relativ gut aus, die Mädels in meiner Klasse himmeln ihn alle an. Alle außer mir.
    Er schüttelt seine hellbraune Mähne, die meiner Meinung nach geradezu lächerlich lang ist, und fährt sich dann so affig durch die Haare, dass jeder die Gelegenheit hat, seine Bizepse zu bewundern. Wie blöd manche Männer sind, als ob einen Bizepse allein anmachen würden. Angeblich ist der Landgraf auf Höhlenklettern spezialisiert, was ich ungefähr so gern tun würde, wie mich freiwillig in einem Erdloch begraben zu lassen.
    Ich gebe vor, mein Handy wegzuräumen, und starre durch Landgraf hindurch. So lange, bis er schulterzuckend wieder nach vorne geht und mich in Ruhe lässt.
    Es ist sicher gut, wenn Mila heute Abend kommt und mich auf andere Gedanken bringt. Oder wär’s doch besser, aus dem Chaos, das durch meinen Körper brodelt, irgendwas zu machen? Vielleicht einen Ring aus alten Ketten, die ich vorher irgendwie sprenge.
    Auf alle Fälle muss ich etwas tun, um zu verhindern, dass Ferdis gemeiner Kommentar mein Herz in Stücke zerteilt. Das werde ich ihm nicht erlauben.

2. Mila
    Gerade als ich total verschwitzt und mit einem Summen in den Ohren die Treppen zur Giselastraße hinaufsteige, höre ich von Weitem die Polizeisirenen. Gut, eben noch rechtzeitig. Ich laufe rüber Richtung Hohenzollernplatz, wo ich eine U-Bahn nach Untersendling nehme, um zu Ally zu kommen.
    Schade, dass sie nicht mitgegangen ist. Es war irre, alle haben getanzt und geraucht und gelacht. Es waberte so viel Gras durch die Luft, dass man allein davon schon völlig high wurde, und für ein paar Stunden habe ich fast vergessen, wie beschissen mein Leben ist.
    Mir ist schon klar, dass Ally lieber ihre frischen Wunden lecken wollte, aber ich finde es trotzdem schade; zu zweit hätte der Abend bestimmt noch mehr Spaß gemacht. Sie gefällt mir, und auch wie sie lebt, passt perfekt zu meinem Plan: Sie wohnt mit siebzehn schon alleine in einer zur Wohnung umgebauten Hinterhofgarage und denkt sich absolut irren Schmuck aus. Darüber habe ich sie schließlich auch gefunden. Nachdem ihr Name ständig fiel, habe ich Scarlett Müllerhans im Internet gegoogelt und ihre Homepage gefunden, auf der sie ihre abgefahrenen Piercings anbietet.
    Aber auch nachdem ich zwei Bauchnabelpiercings gekauft hatte, blieb sie so verschlossen wie ’ne Auster. Erst als ich einen silbernen Erinnyen-Anhänger in Auftrag gegeben habe, wurde sie etwas redseliger, denn das hat ihr wesentlich mehr Spaß gemacht als die Piercings. Sie wusste sogar, dass die griechischen Rachegöttinnen aus den Blutstropfen entstanden sein sollen, die bei der Entmannung des großen Uranos auf die Erde getropft sind. Das wiederum hat mir so gut gefallen, dass ich den Anhänger seitdem immer an einem schwarzen Lederband um meinen Hals trage. Es war diese Furcht einflößende Kreation – ein Tropfen, aus dem sich eine Fratze hervorwindet –, die mich darin bestärkt hat, dass mein Plan funktionieren kann.
    Manchmal war ich nahe dran, Ally in alles einzuweihen, aber das Risiko war mir dann doch zu groß. Obwohl sie komplett anders ist als die anderen, die in der engeren Wahl waren, kann ich mir nicht noch mal so ein Fiasko wie mit Tom erlauben.
    Zum Glück mag ich Ally wirklich, das macht alles einfacher.
    Als ich am Kolumbusplatz aussteige, kommt es mir vor, als wäre ich auf einem fremden Planeten gelandet. Nur die Laternen werfen ihr fades Licht auf die verödeten Bürgersteige. Irgendwie ist die Gegend hier ein bisschen unheimlich. Schnell strecke
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