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Luegenherz

Luegenherz

Titel: Luegenherz
Autoren: Beatrix Gurian
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ich den Finger nach Allys Klingelschild aus.
    »Na, so spät noch unterwegs?«, ertönt da ihre Stimme aus der Dunkelheit hinter dem Tor. Ich zucke zusammen. Ihr bleiches Gesicht scheint in der Dunkelheit zu mir herzuschweben, weil ihre sonst ganz in Schwarz gekleidete Gestalt mit der Nacht verschmilzt. Sie öffnet das Tor und versucht, mich anzulachen, aber es misslingt kläglich. »Hi«, sagt sie und ich weiß nicht, ob ich sie umarmen soll. Auch so was Komisches mit Ally – bei anderen Menschen bin ich immer sicher, ob sie das mögen.
    Sie dreht sich um und geht über den Hof zu ihrer Wohnung, von der ich wünschte, ich hätte auch so eine. Das Ganze war früher mal ’ne große Garage, die dann umgebaut wurde. Man merkt deutlich, dass dieser Raum nicht als Wohnung gedacht war, weil die Decken so niedrig sind und es nur ein winziges Fenster gibt. Ich finde, es riecht auch immer noch ganz schwach nach altem Öl. Aber trotzdem: Es sind ihre eigenen vier Wände und darum beneide ich Ally.
    Es gibt nur einen einzigen großen Raum, in dem auch so was wie ein Bad untergebracht ist. Das Klo ist zwar im Hof, doch das gehört ganz allein Ally und nur sie hat einen Schlüssel dafür.
    Wenn man in die Wohnung reinkommt, steht auf der einen Seite der Holztisch mit den Werkzeugen, an dem Ally ihren Schmuck entwirft. Unter dem Tisch ist eine Gasflasche, die sie für die Flamme zum Löten braucht. Dann kommt ein halbhohes schwarzes Billyregal mit dem Zweiplattenherd vom Flohmarkt, oben drauf ein Stapel pieksauberes Geschirr. Auf der anderen Seite des Raums befinden sich das Waschbecken und die Duschkabine, die sie dort nachträglich eingebaut hat. Und daneben steht die bayerisch bemalte Truhe, die Ally von ihrer Oma geerbt hat. In die hat ihr Bruder Jury sie früher mal beim Versteckspielen eingesperrt und dann den ganzen Tag lang drin vergessen. Seitdem hasst Ally enge dunkle Räume. Den Rest der ehemaligen Garage verdeckt ein glitzernder meerblauer Perlenvorhang, hinter dem sich zwischen Vorhang und Wand ein riesiges Eisenbett quetscht. Dadurch wirkt es wie eine Insel.
    Heute ist es relativ schummrig, sonst hat Ally immer die starke Neonbeleuchtung an. Die braucht sie zum Arbeiten oder um ihre Wohnung zu schrubben, was sie andauernd macht. Ich finde das vollkommen irre. Mein Zimmer sieht komplett anders aus. Mama nennt es nur »die Walachei«, das »Schlachtfeld«, oder wenn sie, was nur selten vorkommt, sehr wütend ist: »der Saustall«.
    Ally putzt aber nicht nur wie eine Verrückte, sie arbeitet auch wie eine Besessene. Die Piercings macht sie zum Geldverdienen, doch ihr Herz hängt an anderen Sachen. Künstlerischem Zeug. Letztes Mal hat sie mir gezeigt, was sie für einen polnischen Silberwettbewerb geschmiedet hat. Es waren hauchfeine Silberplättchen, Abdrücke von Barbiepuppengesichtern. Sie hat mir erklärt, was sie sich dabei gedacht hat, und das war eine Menge, und trotzdem habe ich nur die Barbiepuppenköpfe gesehen, die nach der Abdruckprozedur aussahen, als hätte man sie grün und blau geschlagen.
    Aber heute ist alles anders bei Ally. Es ist für ihre Verhältnisse total unordentlich, denn es stehen zwei leere Bierflaschen rum. Ally trinkt normalerweise keinen Alkohol, aber jetzt reicht sie mir wortlos ein Bier mit Schnappverschluss aus ihrem derart sauberen kleinen Kühlschrank, dass man darin glatt eine OP durchführen könnte, und macht sich selbst eines mit einem lauten Plopp auf.
    »Was ist denn los?«, frage ich deshalb, dabei weiß ich das ja längst.
    Sie zuckt mit den Schultern und sieht dabei so aus, als ob sie das Gewicht von tausend Kilo Silber mit hochziehen müsste. »Ferdi, du weißt schon, der mit dem wunderbaren Lachen, hat gesagt, dass mein Schmuck abscheulich ist.« Zu mehr reicht es nicht, ihre Stimme bricht ab.
    Okay, denke ich erleichtert, das hätte ich nicht besser planen können. Eine Liebesbeziehung hätte doch sehr gestört, gratuliere ich mir und versuche, angesichts Allys nass schimmernder Augen traurig auszusehen.
    »Na, er ist ja auch ein Experte, oder?« Ich proste ihr durch die Luft zu. »Ich hoffe, du hakst diesen Idioten endlich ab. Solche Typen passen zu Mädchen, die wie Cheerleader rumlaufen und laut kreischend über ihre BH-Größe reden.«
    Ally reißt ihre Augen weit auf, trotzdem tropft eine Träne herunter und sie versucht zu lachen. »Glaubst du echt?«
    Ich denke, jetzt sollte ich sie in den Arm nehmen. Ich stelle das Bier ab und lege meinen Arm um sie.
    »Du bist
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