Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)

Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)

Titel: Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)
Autoren: Kerstin Gier
Vom Netzwerk:
ist er auch in mich verliebt. Er heißt Boris.«
    »Was genau willst du mir eigentlich sagen?«, fragte Birnbaum.
    Ja, was genau wollte ich ihm eigentlich sagen? Ich war viel zu betrunken, um eine vernünftige Antwort zu geben.
    »Ich glaube, ich brauche einfach noch ein bisschen Zeit, um meine Probleme zu ordnen«, sagte ich. »Außerdem bin ich stockbesoffen.«
    Birnbaum schwieg eine Weile.
    »In Ordnung«, sagte er dann. »Ich gebe dir die Zeit. Bis morgen Abend. Alle Probleme, die du bis dahin nicht gelöst hast, schaffen wir gemeinsam aus der Welt.«

18. Kapitel
     
    A ls ich am nächsten Morgen aufwachte, brummte mir der Schädel. Das war verständlich: Dem vielen Sekt war eine Menge Wein gefolgt, den die Kellner während des erstklassigen Abendessens unablässig aus- und nachgeschenkt hatten, einen Grauburgunder zur Suppe, einen Riesling zum Fisch und einen Dornfelder zum Geflügel.
    Das Erste, was ich sah, war das Gesicht meines kleinen Neffen direkt vor meinem Kopf. Daneben erschien das Gesicht meiner kleinen Nichte.
    »Pik, pik, in dein Auge«, sagte sie, aber ehe ihr spitzer, kleiner Finger mein Auge erreicht hatte, setzte ich mich schwankend auf.
    »Was macht ihr denn hier?«
    »Dich besuchen«, sagte Henriette. »Leander ist auch dabei.«
    »Und wo ist eure Mama?«
    »Weg«, sagte Philipp. Er saß auf meinem Schreibtischstuhl und hatte Leander auf dem Schoß.
    »Nanu«, sagte ich. »Was ist passiert? Hat jemand dein Bett angezündet, oder warum hast du es verlassen?«
    »Es hatte geklingelt, und weil du geschlafen hast wie ein Murmeltier, musste ich ja wohl oder übel die Tür aufmachen«, sagte Philipp. Finn und Henriette kletterten auf mein Bett und versuchten, sich gegenseitig ins Auge zu piken. »Die Kinder standen vor der Tür, alle drei. Und eine Menge Gepäck im Kinderwagen. Nur von Toni war keine Spur zu sehen.«
    »Merkwürdig. Und wo ist Mama?«, fragte ich.
    »Die heult sich seit gestern die Augen aus dem Kopf. Wegen Papa. Sie hat heute Nacht im Atelier geschlafen, weil sie die leere Seite vom Ehebett nicht ertragen kann. Das ist alles meine Schuld.«
    »So ist es«, sagte ich. »Aber Mama trägt auch ihren Teil daran. Und nicht zu vergessen, die arme Helena.«
    »Ich habe meinen eigenen Vater aus dem Haus getrieben«, sagte Philipp mit Grabesstimme. Leander strampelte in seinen Armen und ließ ein ungnädiges Krähen hören.
    »Ihm ist heiß«, sagte ich. »Zieh ihm die warmen Übersachen aus.«
    Philipp streifte dem Baby ungeschickt den Overall ab. Auf dem Strampler darunter war mit Tesafilm ein Zettel befestigt.
    » Ich schlafe. Bitte kümmert euch um die Kinder, falls ich nicht wieder aufwache. Toni «, las Philipp laut. » P.S. Versucht gar nicht erst, mich zu finden . Oh mein Gott! Hanna!«
    »Pik, Pik, in dein Auge!«, schrie Finn, und Henriette schrie: »Aua, du verdammter Bastard.«
    Ich packte alle beide im Nacken und setzte sie auf den Teppich, wo sie sich sofort weiterbalgten. Sie waren wie junge Katzen.
    »Tja!«, sagte ich zu Philipp. »Dann wollen wir mal.« Obwohl sich mein Kopf anfühlte, als würde ein Sinfonieorchester darin seine Instrumente stimmen, sprang ich aus dem Bett wie jemand, der ausschließlich frisches Quellwasser zu sich genommen hat.
    Ich hatte viel vor.
    Mir war sozusagen über Nacht klar geworden, dass niemandem, am wenigsten mir selbst, damit geholfen war, wenn ich weiterhin versuchte, meine Probleme einfach zu ignorieren oder die Verantwortung dafür jemand anderem zuzuschieben. Das Gleiche galt auch für die Probleme, die genau genommen gar nicht meine Probleme waren: Es war nun einmal so, dass ich nicht dafür gemacht war, tatenlos zuzusehen, wie die anderen in ihr Unglück rannten. Ich war einer dieser Menschen, die nur glücklich sind, wenn alle anderen um sie herum auch glücklich sind. (Ausnahmen bestätigten die Regel.)
    »Oh Gott, oh Gott«, jammerte Philipp. »Die arme Toni. Wir müssen Sie finden, bevor sie sich …« Mit einem Blick auf die Kinder brach er ab.
    Ich sah ihn kopfschüttelnd an. »Jetzt hör mir mal gut zu, Philipp. Es gibt Menschen, die Probleme haben. Es gibt Menschen, die Probleme verursachen. Und es gibt Menschen, die Probleme beseitigen. Zeit meines Lebens habe ich, ohne angeben zu wollen, zu der letzten Sorte von Menschen gehört. Ich war das Räucherstäbchen dieser Familie, ich war die dicke, patente Hanna. Nein, unterbrich mich nicht. Eine Zeit lang habe ich versucht, meine Bestimmung zu leugnen, aber jetzt bin ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher