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Luc t'a pan - Teil 1 (German Edition)

Luc t'a pan - Teil 1 (German Edition)

Titel: Luc t'a pan - Teil 1 (German Edition)
Autoren: Markus Wand
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Sie öffnete den Klettverschluss einer Seitentasche, zog einen weiteren Plastikbeutel hervor. Darin befanden sich die Reste eines Erste-Hilfe-Koffers, den sie in einem Autowrack auf dem Schrottplatz zwei Kilometer vom Stadtrand entfernt in einer Nacht-und-Nebel-Aktion gefunden hatte. Das Mindesthaltbarkeitsdatum des Inhalts interessierte sie damals wie heute nicht. Lyn nahm die beiliegende Schere ...

 ... und schnitt einen Streifen Pflaster ab.
 Im ersten Moment war es weder ihr noch Marshall aufgefallen, dass er sich den Hinterkopf an einem Stein im Bach aufgestoßen hatte – das Blut sickerte in seinen dichten Haarschopf und war auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Erst auf dem Nachhauseweg bemerkte Lyn zufälligerweise den Schatten, der sich im Nacken ihres Retters ausbreitete und machte Marshall darauf aufmerksam. Der winkte zunächst ab und kümmerte sich nicht weiter darum – er hielt es wohl für Wasser, das aus seinen Haaren tropfte. Lyn aber ließ nicht locker. Sie gestikulierte mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, versuchte gar, mit ihrer Hand seinen Nacken zu berühren. Marshall zuckte jedoch zurück, als befürchtete er, einen Stromschlag zu bekommen ...

  ... irgendwie muss es wohl auch so etwas Ähnliches für ihn gewesen sein, wie er mir später erzählte, deshalb auch seine heftige Reaktion am Wasser. Nur wieso spürte er nicht schon vorher etwas? Als er mir vom Boden aufhalf oder als wir auf dem Weg zum Bach waren und er mich an die Hand genommen hatte ...

  ... griff sich letztlich dennoch aufgrund Lyns Vehemenz prüfend an den Hinterkopf und blickte auf das Blut, das zwischen seinen Fingern klebte. Lyn erwartete, Überraschung oder Bestürzung in Marshalls Gesichtsausdruck zu erkennen, aber der wischte sich lediglich seine Hand an der Hose ab; seine Verletzung schien ihn nicht zu interessieren. Lyn ging nicht weiter darauf ein – sie hielt es für irgend so einen Jungenkram - sondern war froh, dass Marshall sie bis zu ihr nach Hause begleitete. Dort angekommen schaffte sie es mit Hilfe ihrer Stiefmutter, ihn zum Bleiben zu überreden, um ihn wenigstens provisorisch zu verarzten.
 Vorsichtig hielt Lyn ihrer Stiefmutter den Streifen Heftpflaster hin, der in ihrer Hand vor Aufregung wie ein Blatt im Wind zitterte. Sie bekam so gut wie nie Besuch, von der Nachbarstochter einmal abgesehen, die mit ihren dreieinhalb Jahren noch keine Vorurteile gegenüber Behinderten im Allgemeinen und Lyn im Besonderen entwickelt hatte. Aber diese Besuche besaßen ihre Halbwertszeit, dessen war sich Lyn durchaus bewusst.
 Und nun stand Marshall Jenkins auf ihrer Terrasse! Ein Außenseiter wie sie selbst! Lyn glaubte sich in einem Traum gefangen, doch je länger sie ihre Stiefmutter dabei beobachtete, wie sie sich um ihren Retter kümmerte, desto mehr wurde die Szenerie zur Realität ...

  ... wie die Ereignisse, die uns für immer miteinander verbanden und schließlich dennoch auseinanderrissen. Der Traum verwandelte sich zum Albtraum.
  Lyn schätzte die Größe ihrer Verletzung ab und schnitt einen quadratischen Streifen aus dem Wundschnellverband, den sie mit den Fingerspitzen über dem versehrten Areal platzierte.  Passt.
  Sie entfernte die Folie von den Klebestreifen, presste die Ränder des Pflasters auf die unbeschädigten Hautpartien, kontrollierte deren Halt. Zufrieden begutachtete sie ihr Werk. Sie steckte die Schere in den Erste-Hilfe-Koffer zurück ...

 ... nachdem Marshall sich von ihr und ihrer Stiefmutter verabschiedet hatte. Immer noch hielt sie der Gedanke an das Erlebte gefangen. Sie spürte, wie ihr Herz gegen die Brust hämmerte.
  Marshall ...
  Wolken schoben sich vor die Nachmittagssonne. Lyn saß auf den Stufen des Hauseingangs ihrer Eltern, deren Beton die Hitze ohne Rücksicht reflektierte. Sie beobachte angestrengt, wie die Schatten ihrer Beine im Grau der Stufen versickerten. Da entdeckte sie ihn. Den Fleck.
 Lyn verbrachte täglich viele Stunden auf der Treppe, versunken in ihren Welten, in denen sie ein ganz normales Mädchen war, das mit ihren Freundinnen spielte. Hübsch. Beliebt. Ohne Behinderungen. Trotz - oder vielleicht gerade wegen - ihres eingeschränkten Sehvermögens hatte sie die Angewohnheit entwickelt, alles ganz genau zu untersuchen. Deshalb kannte sie die Struktur und Oberfläche des Hauseingangs in allen Einzelheiten. Alles war in ihrem Kopf aufgezeichnet, wie auf einer Landkarte kartographiert.
 Lyn beugte ihren Kopf nach vorne, um
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