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Love

Love

Titel: Love
Autoren: Stephen King
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einnehmende Stapelreihe, sah nochmals nach und wählte zwei Titel aus. Der eine war ein teuer aussehender gebundener Halbjahresbericht der Uni versity of Kentucky in Bowling Green. Der andere, eine Zeit schrift im Pocketformat, die aussah wie von Studenten ge macht, hieß Push-Pelt: einer dieser bedeutungsleeren Namen, die sich Anglistikstudenten ausdenken und sich einbilden, sie würden charmant klingen.
    »Schlag sie auf, schlag sie auf!«, befahl Amanda ihr, und als sie ihr die beiden in die Hände drückte, drang Lisey der ste chende Schweißgeruch ihrer Schwester in die Nase. »Die Stel len sind mit Papierfitzeln markiert, siehst du?«
    Fitzel. So hatte ihre Mutter kleine Papierfetzen genannt. Lisey schlug als Erstes den Halbjahresbericht an der markierten Stelle auf. Das darin enthaltene Foto von Scott und ihr war sehr gut, erstklassig gedruckt. Scott war dabei, ein Podi um zu betreten, während sie hinter ihm stand und applaudier te. Vor der Bühne stand das Publikum ebenfalls klatschend. Das Foto von ihnen in Push-Pelt war deutlich unschärfer; sein Raster war so grob, als würden die Punkte von sehr wei chen Bleistiften stammen, und zudem war das billige Papier voller Holzfasern, aber während sie das Bild betrachtete, hätte sie am liebsten losgeheult. Scott betrat irgendeinen dunklen, von Lärm erfüllten Keller. Auf seinem Gesicht stand das breite alte Scott-Grinsen, das sagte: Oh yeah, hier bin ich richtig! Sie war ein bis zwei Schritte hinter ihm, ihr eigenes Lächeln beleuchtet vom Widerschein eines offenbar gewaltigen Foto blitzes. Sie konnte sogar die Bluse erkennen, die sie getragen hatte: die blaue von Ann Klein mit dem lustigen senkrechten roten Streifen auf der linken Seite. Was sie sonst noch trug, ging im Schatten unter, und sie hatte keinerlei Erinnerung an diesen speziellen Abend, sie wusste lediglich, dass es Jeans gewesen sein mussten. Wenn sie noch spät ausging, zog sie immer ihre ausgebleichten Jeans an. Die Bildunterschrift lautete: Lebende Legende Scott Landon (begleitet von seiner Gefährtin) besucht letzten Monat den Stalag 17 Club der Uni versity of Vermont. Landon las, tanzte und feierte bis zur Sperrstunde. Der Mann weiß, wie man abhängt.
    Ja. Der Mann hatte gewusst, wie man abhängt. Das konnte sie bezeugen.
    Sie betrachtete all die anderen Zeitschriften, war plötzlich überwältigt von den Reichtümern, die darin zu finden sein mochten, und spürte gleichzeitig, dass Amanda sie doch ver letzt, ihr eine Wunde zugefügt hatte, die vielleicht lange blu ten würde. War er der Einzige, der von den dunklen Orten gewusst hatte? Den schmuddeligen dunklen Orten, an denen man so allein und erbärmlich sprachlos war? Vielleicht wuss te sie nicht alles, was er gewusst hatte, aber sie wusste genug.
    Jedenfalls wusste sie, dass er ein Gehetzter gewesen war und nach Sonnenuntergang nie in einen Spiegel gesehen hatte – nicht einmal auf eine reflektierende Oberfläche, wenn es sich vermeiden ließ. Und sie hatte ihn trotz alledem geliebt. Weil der Mann gewusst hatte, wie man abhängt.
    Aber jetzt nicht mehr. Nun war der Mann ein für alle Male abgehängt. Er war dahingegangen, wie man sagte; ihr Leben war in eine neue Phase, eine Solophase getreten, und für eine Umkehr war es nun zu spät.
    Diese Redewendung ließ ihr einen Schauder über den Rü cken laufen und sie an Dinge denken
    (das Purpurne, das Ding mit der gescheckten Seite)
    an die man am besten nicht dachte, also dachte sie lieber weg.
    »Ich bin echt froh, dass du diese Bilder gefunden hast«, erklärte sie Amanda eifrig. »Du bist eine ziemlich gute große Schwester, weißt du das?«
    Und wie Lisey gehofft, aber nicht wirklich zu erwarten gewagt hatte, riss sie Manda damit geradewegs aus ihrem hochmütigen, kapriziösen kleinen Tanz. Sie starrte Lisey ver unsichert an und schien nach Unaufrichtigkeit zu fahn den, aber keine zu entdecken. Nach und nach verwandelte sie sich in eine handzahmere, leichter zu verstehende Amanda. Sie nahm ihr Notizbuch wieder an sich und betrachtete es stirnrunzelnd, als wüsste sie nicht so recht, wo es plötzlich herkam. Lisey fand, dass dies angesichts der zwanghaften Zahlenreihen vielleicht ein großer Schritt in die richtige Rich tung war.
    Dann nickte Manda, wie jemand, der sich an etwas erinnert, was ihm nie hätte entfallen dürfen. »In den nicht um kringelten Titeln wirst du wenigstens genannt – Lisa Landon, eine leibhaftige Person. Last, not least – wenn man daran denkt, wie wir dich
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