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Love Alice

Love Alice

Titel: Love Alice
Autoren: Nataly Elisabeth Savina
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leichter. Dann können wir uns vielleicht aussuchen, wohin …«
    Mama sieht mich ernst an und ich kann nur nicken.
    Als sie mir heute Nacht eröffnete, dass sie schon gepackt habe, hat sie mir ein Kästchen in die Hand gedrückt und mich angestrahlt. Darin lag eine goldene Kette mit einem Herzanhänger, wunderschön. Ganz klar eine Bestechung. Aber was sollte ich machen. Sie sah so aufgeregt und glücklich aus. Selbst wenn ich rausgerannt wäre und mit der Tür geknallt hätte, würde sich ja doch nichts ändern.
    Ich hätte mir lieber die riesige, weiße Plüschkatze gewünscht. Aber Mama denkt immer an den Wiederverkaufswert der Dinge. Sie schenkt mir am liebsten Sachen aus Gold. Wenn du mal in Not bist, sagt sie, wirst du es immer verkaufen können. Ich denke, dass ich niemals ein goldenes Herz verkaufen würde, das ich von meiner Mutter bekommen habe. Trotzdem lächle ich und umarme sie und flüstere: »Danke.«
    Abends im Bett träume ich manchmal im Halbschlaf, wir müssten fliehen. Es ist Krieg oder eine Naturkatastrophe oder einfach nur ein Feuer ausgebrochen. Dann suche ich all meine Schätze zusammen und stecke sie in meine kleine Handtasche. Ein vorausschauend genauer Plan, schnell und effizient. Das würde Mama sicher freuen. Oder wenn wir Einbrecher im Haus hätten - dann überlege ich, wie ich am besten aus meinem Schlafzimmer fliehen kann. Je nach dem Stockwerk, das wir aktuell bewohnen, gestaltet sich die Flucht unterschiedlich. Meistens nehme ich mir einfach vor, aus dem Fenster zu springen. Hauptsache, das Gold nicht vergessen.
    Mama richtet sich auf und beugt sich über mein Ohr. Leise singt sie eine Strophe aus La Traviata . Ihre Traumrolle und der Grund für unseren spontanen Aufbruch.
    »Flora, mein Freund, einiges an Freude verspricht der Ball uns heute – so füllet die Gläser …«
    Mamas Tonlage heißt Sopran. Ich wende mich ab und klappe das Buch zu. Ich weiß, dass der Sopran nun verstummt.
    »Wenn du dich nicht freuen kannst, betrachte es eben als einen Job«, sagt Mama.
    Das sagt sie immer wieder. Jedes Mal, wenn sie mich zu etwas zwingen möchte. Sogar, wenn ich Oma zum Geburtstag anrufen muss.
    »Es ist nicht mein Job, dir zu folgen«, sage ich. »Ich könnte auch ins Internat.«
    Mama macht ein entsetztes Gesicht. Den ganzen Sommer über habe ich einen Stapel Bewerbungsbriefe für verschiedene Institute geschrieben. Einfach so, zur Beruhigung. Jetzt liegen sie bei Oma zwischen den Bettlaken im Wäscheschrank. »Diese evangelische Jugendherberge, die du mir gezeigt hast? Wir sind Atheisten, Alice.«
    »Und glauben ausschließlich an uns selbst …«, murmele ich.
    Mama dreht sich weg und kuschelt sich in ihren Paschmina. Das Gespräch ist beendet. Auf meinem Klapptisch steht ihr Pappbecher. Mit einer ruckartigen Bewegung werfe ich ihn um. Aber es bringt nichts. Er ist leer.
    Wenn Mama eine berühmte Popsängerin wäre, würden wir gemeinsam Tanzeinlagen erarbeiten, Duft- und Modekollektionen entwerfen. Ich dürfte mir die Haare färben und würde mir zentimeterlange Fingernägel wachsen lassen. Wir bräuchten einen geheimen E-Mail-Account und auch sonst würde alles ganz anonym und undercover sein. Vermutlich hätten wir ein paar muskelbepackte Bodyguards, die unsere Koffer tragen, und die Paparazzi würden uns das Leben schwer machen.
    Ich stelle mich unter das Glasdach des Flughafens, weil es regnet. Mama und der Taxifahrer stopfen gemeinsam unser ganzes Gepäck in einen viel zu kleinen Wagen, und ich merke, wie müde meine Beine vom Flug sind. Der Taxifahrer wischt sich die Wassertropfen vom Schnurrbart, wie die Hasen meiner Oma. Er versucht ein schüchternes Lächeln, aber Mama lächelt fremde Menschen fast nie an.
    »Schön … heute«, sagt der Taxifahrer.
    Mama sieht ihn mit kühlem Blick an und streckt ihm den Zettel mit der Adresse entgegen.
    Während der Fahrt schaue ich aus dem Fenster. Wir fahren in einen Vorort, erst eine Schnellstraße lang, dann wieder kleine Straßen. Inmitten von Wohngebieten stehen dicht bewachsene Waldstücke, als wären die Häuser hier in der Wildnis wie Pilze aus dem Boden geschossen. Während wir an einer Ampel halten, entdecke ich ein weißes Kaninchen, das in einem Vorgarten aus einer Topfpflanze hervorlugt und an den vertrockneten Blättern nagt. Ein leeres Schnapsfläschchen liegt daneben auf dem vereisten Boden.
    Die möblierte Wohnung, die uns für die Spielzeit zur Verfügung gestellt wurde, ist hell und geräumig. Über den splittrigen
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