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Love Alice

Love Alice

Titel: Love Alice
Autoren: Nataly Elisabeth Savina
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Lichtstrahlen auf dem Parkett flimmert der Staub. Der Taxifahrer stellt unsere Koffer und Taschen in eine Reihe. Ich frage mich, ob ich es schaffe, drei Mal, ohne abzusetzen, darüberzuspringen, als die Türklingel einen schrillen Ton macht.
    »Auf die Minute!«, freut sich Mama.
    Im Getümmel der Umzugshelfer schlängele ich mich in Richtung Wohnungstür. Wir bekommen einen funktionierenden Kühlschrank und unsere paar Kisten geliefert. Ich kriege eine Kante hart gegen den Kopf und stehe plötzlich draußen. Die Tür fällt mit lautem Krach hinter mir zu. Im Hausflur sitzt einer von der Speditionsfirma und fixiert stumpf die Wand.
    »Es ist absolut sinnlos, anzuklopfen«, sagt der Mann, ohne mich anzusehen. »Alle sind beschäftigt.«
    »Wie soll ich denn sonst da rein?«, sage ich.
    »Sollst du denn rein?«, murmelt der Typ. »Das wäre doch mal eine interessante Frage.«
    Ich sehe ihn genauer an, als sich die Tür öffnet und Mama über meinen Kopf in den Flur brüllt. »Alice!« Dann sieht sie mich und faucht: »Mein Gott, muss ich dich jetzt auch noch suchen? Komm rein und hilf mir.«
    Der Mann macht mit den Lippen das Geräusch einer geplatzten Kaugummiblase und starrt beharrlich an mir vorbei.

Der Knicks
    Ich folge dem Schulleiter durch die grauen Gänge und frage mich, wer eigentlich entscheidet, die Wände einer Schule hellgrau zu streichen? Und weshalb werden in so gut wie jeder Schule diese hilflosen Versuche unternommen, die allgegenwärtige Trostlosigkeit mit Grundschüler-Gematsche aufzupeppen? Durch die Fenster sehe ich, dass die ganze Schule von Wald umgeben ist. Helle Kieswege verlaufen zwischen den Gebäudeteilen. Die Schnellstraße schimmert durch die Bäume. Der füllige Schulleiter schmatzt beim Gehen vor sich hin, als kaute er heimlich einen Kaugummi. Er riecht nach irgendeinem Parfüm, das ich von Mamas Premierenfeiern kenne.
    Ich bin feierlich angezogen, es ist mein erster Tag. Mein Rock wippt, meine Schuhe klappern auf den Gängen, ich habe meine Herzchenkette an, der oberste Knopf meines Kleides ist offen, damit man sie sieht. Ich stelle mir vor, ich träfe mich mit einer Königin zum Tee, der in zierlichen Porzellantassen mit niedlicher Blumenranke serviert wird, und der Schulleiter ist der Untergebene, der mir den Weg weist. Wir biegen um die Ecke und passieren eine Reihe verglaster Vitrinen, in denen bunte Molekularmodelle stehen. So steht es jedenfalls auf einem Schild. Ich betrachte mein Spiegelbild mit Molekularen im Gesicht und zupfe meine Haarschleife in Form. Das ist meine Lieblingsschleife, wenn ich auch ab und zu denke, es wäre praktischer, Haargummis zu tragen. Aber Mama hat eine besondere Theorie über das Abschnüren der Haare, weil Haare »atmen« sollen. Haargummis führen zum Haarbruch – Atlasschleifen nicht, sagt sie und lässt sich von Oma immer welche geben. Oma hat eine ganze Schublade voll mit Atlasschleifen. Sie hat auch eine ganze Schublade voller Plastikketten vom Flohmarkt, verrückt bunt, mit Glitter, aber die rückt sie nicht raus. Keiner weiß, wozu ausgerechnet Oma sie braucht. Manchmal behauptet Oma, sie wären »für die Bühne«, und Mama macht dann einen Vogel.
    Der Schulleiter verlangsamt die Schritte und richtet seine wässrigen Augen auf meinen Oberkopf. Plötzlich werde ich mir meines neuen Ranzens bewusst, der total penetrant nach Leder stinkt.
    »Du siehst traurig aus«, sagt der Schulleiter.
    Ich frage mich, ob es bis zu ihm vorgedrungen ist, dass ich bereits fünf Schulwechsel hinter mir habe. Wir gehen durch drei gläserne Zwischentüren, bis er endlich stehen bleibt und seine Hand väterlich auf meine Schulter legt.
    »In welche Klasse möchtest du, A oder B?«
    »Das ist mir eigentlich nicht besonders wichtig«, sage ich. Meine Stimme klingt in diesen Gängen viel piepsiger als sonst. »Sehen Sie, ich möchte einfach nur nicht dauernd wechseln.«
    »Ich sehe rein gar nichts«, sagt der Schulleiter nachdenklich und öffnet die Tür von der 8B. Ich schätze, da soll ich jetzt rein. Er schmatzt noch mal zum Abschied und weist mir den Weg. Dann zwinkert er mir zu.
    Ich platze mitten in den Unterricht. Grelles Neonlicht durchflutet den Raum, an den Wänden hängen Landkarten, Zettel und Plakate, der übliche Kram. Die Lehrerin sieht aus wie eine kleine, eingetrocknete Maus. Ihre braunen Äuglein blitzen aus den Furchen ihres Gesichts und versuchen, alles im Blick zu behalten. Mit meinem Kleid, der hellblauen Schleife im Haar und den Lackschuhen
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