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Lost Place Vienna (German Edition)

Lost Place Vienna (German Edition)

Titel: Lost Place Vienna (German Edition)
Autoren: Lost Place Vienna
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betrachtete ihn genauer. Sein Gesicht war rund und braun
gebrannt. Die grauen Stoppeln harmonierten mit der Farbe seines Anzuges. Seine
hellbraunen Augen versprachen Witz und Wärme. Er mochte Ende vierzig sein, aber
er war nicht so einfach zu schätzen, weil sein Körper drahtig und sportlich
wirkte.
    »Grazie«, sagte er zu Eduardo, der die
beiden Espressi auf die Theke stellte.
    »Entschuldigung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt: Martin
Adler.« Er streckte Valentina die gebräunte Hand entgegen.
    Valentina griff sie und hoffte, über den Händedruck mehr von ihrem
Gegenüber zu erfahren. Er war angenehm, fast schien es ihr, als würde sie sich
selbst die Hand geben.
    »Valentina Fleischhacker.«
    »Ein spannender Name, klingt wie erfunden.«
    »Wie meinen Sie das?« Valentina mochte es nicht, wenn man über ihren
Namen witzelte.
    »Entschuldigen Sie bitte. Über Namen macht man keine Scherze. Ich
meinte das als Kompliment. Valentina, vom lateinischen ›valens‹, bedeutet
›gesund‹ und ›stark‹. Und wenn man gesund und stark zum Fleischhacker muss, hat
das durchaus eine poetische, fast erfundene Spannung, finden Sie nicht? Gesund
und stark in den Tod? Das ist Philosophie. Religion. Ihr Name hat das Zeug zum
Heldentum.«
    »Sie haben wirklich sehr viel Phantasie.«
    Valentina kippte ihren Espresso und setzte zum Gehen an. Ihr Blick
fiel auf das GPS -Gerät, das Adler auf der Bar
abgelegt hatte.
    »Wofür brauchen Sie das eigentlich?«
    »Ich wusste doch, dass Sie Piratenfilme mögen. Das hier ist mein
Kompass. Er führt mich direkt zum Schatz. Noch nie etwas von Geocaching
gehört?«
    Valentina zog fragend die Brauen hoch.
    »Geocaching ist die spannendere Variante des
Sonntagnachmittagsspaziergangs. Man erkundet dabei eine Gegend oder eine
Region, indem man dort auf Schatzsuche geht«, erklärte Adler.
    »Also so etwas wie eine Schnitzeljagd?«
    »Exakt. Nur dass Sie die Koordinaten Ihres Schatzes über Internet
erhalten, in das GPS eingeben und dann
losziehen.«
    »Verstehe. Und, sind Sie bereits in der Nähe Ihres Schatzes?«
    »Ich glaube, ich habe ihn gefunden.« Adler lächelte charmant und sah
Valentina unverschämt lange in die Augen. Sie errötete leicht, dann warf sie
ein paar Münzen auf die Theke.
    »Ich glaube, Sie überprüfen besser noch mal Ihre Koordinaten. Stimmt
so. Viel Glück.«
    Als sie durch die Tür trat, spürte sie den Blick Adlers in ihrem
Rücken. Den Nächsten, den sie anfuhr, würde sie liegen lassen. Als ob die
Handys nicht reichten, auf die die Fußgänger ständig glotzten, jetzt brauchten
sie auch noch ein GPS , um sich Ausflüge
schmackhaft zu machen.
    In der Innenstadt musste sie aufpassen. Hier wimmelte es nicht
nur von Touristen, sondern auch von Kollegen, die peinlichst darauf achteten,
dass man die Verkehrsregeln einhielt. Wenn man es eilig hatte, war das aber
unmöglich. Selbst wenn man den Stadtplan im Kopf hatte, das
Einbahnstraßenlabyrinth stellte eine Herausforderung für sich dar. Trotzdem
schaffte es Valentina ohne weitere verkehrstechnische Zwischenfälle zur
Filmbuchhandlung.
    »Welchen Musketierfilm willst du?«, fragte Nocker, der ungekrönte
King der Filmgeschichte. Valentina hatte gehofft, dass Sandy im Laden sei. Dann
ging es schneller. Nocker verkaufte nicht bloß Filme, er sah es als seine
Mission an, dem Kunden sein unerschöpfliches Wissen über Film zu vermitteln, ob
man wollte oder nicht. Und dabei war die Geschichte des Films doch kaum älter
als hundert Jahre. Nicht auszudenken, wenn Nocker ein Literaturfreak gewesen
wäre.
    »Den besten«, antwortete Valentina.
    Nocker kraulte sich an seinem mit leichtem Grau durchwachsenen Bart
und lächelte wie ein weiser Shaolin-Meister, der seinem Schüler gleich
beibrachte, wie lange man gegen ein Stück Holz hauen musste, ehe man den
Schmerz nicht mehr spürte.
    »Der beste wurde noch nicht gedreht. Alle hinken dem Dumas
hinterher. Man muss das französische Original lesen, um die Essenz
herauszufiltern. Aber wer liest in Hollywood schon Französisch?«
    »Und abgesehen davon? Welchen empfiehlst du mir?«
    »Wofür brauchst du ihn? Unterhaltung oder Erkenntnis?«
    »Gibt es da eine Erkenntnis?«
    »Es ist ein klassischer Parzival-Mythos. Es geht ums
Erwachsenwerden. Da sollte es eine Erkenntnis geben«, sagte Nocker und kam
hinter dem Tresen vor. Er ging an Valentina vorbei und stieg die Stufen ins
Souterrain hinab, in dem sich seine Schätze befanden.
    Valentina folgte ihm. Er trug gerne Schwarz.
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