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London

London

Titel: London
Autoren: Edward Rutherfurd
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geschickte Metallbearbeitung bereicherten das Leben der Inselbewohner. Sie wohnten in festen, runden Holzhütten mit strohgedeckten Dächern. Ihre größeren Siedlungen waren von Palisaden oder von hohen Erdwällen umgeben. Sie bauten Gerste und Hafer an, hielten Weidetiere, tranken Bier und Honigmet.
    Seit vielen Generationen waren Händler aus der sonnigen Mittelmeerwelt bis zur Insel vorgedrungen, die kostbare Güter aus dem Süden gegen Felle, Sklaven und die berühmten Jagdhunde der Insel tauschten. An einem Hafen an der Südküste, an dem ein anderer Fluß aus der uralten, verlassenen Tempelanlage Stonehenge ins Meer strömte, hatte sich ein lebhafter Handel entwickelt. Doch obwohl die britischen Häuptlinge Wein, Seide oder römisches Gold durchaus schätzten, lag die Welt, aus der diese Güter stammten, noch weit hinter dem Horizont.
    Aber dann strebte Julius Cäsar nach der Herrschaft über Rom. Um sein Ziel zu erreichen, mußte er Eroberungen machen. Erst vor kurzem war er bis zum englischen Kanal vorgedrungen und hatte eine riesige, neue römische Provinz, Gallien, errichtet. Nun hatte er ein Auge auf die nebelverhüllte Insel im Norden geworfen. Letztes Jahr war er gekommen. Mit einer bescheidenen Armee, die überwiegend aus Fußsoldaten bestand, betrat Cäsar unterhalb der weißen Klippen die südöstliche Küste Britanniens. Die britischen Häuptlinge waren gewarnt worden, und die keltischen Krieger kämpften tapfer. Sie griffen mit ihren Pferden und Streitwagen die Römer mehrmals überraschend an. Dann beschädigte ein Sturm Cäsars Flotte. Nach einigen Scharmützeln in der Küstenregion zog Cäsar mit seinen Truppen wieder ab, und die Häuptlinge triumphierten. Doch dann sickerten Neuigkeiten durch. Eine neue Flotte sollte aufgebaut werden. Nicht weniger als fünf Legionen und gut zweitausend berittene Soldaten, so hieß es, sollten zusammengezogen werden. Vor zehn Tagen hatte ein Bote die kurze, bündige Nachricht nach Londinos gebracht: »Cäsar ist unterwegs.«
    Das Opfer war erbracht worden. Die Menge löste sich wieder auf. Vier Druiden kehrten heim, zwei Richtung Süden, zwei Richtung Norden. Dem Vater von Segovax oblag es, den ältesten Priester flußaufwärts zu rudern.
    Der Alte wollte eben in das Boot klettern, als er sich noch einmal umdrehte und seinen Blick kurz auf der Frau ruhen ließ. Dann gab er dem Fischer das Zeichen zum Aufbruch.
    Der Moment war kurz, doch lange genug. Cartimandua zitterte. Es hieß, daß der alte Mann alles wußte. Sie preßte das Baby an ihre Hüften und schubste Segovax und Branwen vor sich her zu der Stelle, an der die Pferde angebunden waren. Tat sie das Richtige? Sie redete sich ein, daß es so war. Schützte sie nicht alle, indem sie tat, was sie tun mußte? Doch das schreckliche Schuldgefühl und die Angst wollten nicht von ihr weichen. War es möglich, daß der alte Druide über den Edelmann Bescheid wußte? Sie wartete bei den Pferden, bis die Männer des großen Häuptlings kamen, unter ihnen auch der Kommandant.
    Segovax musterte ihn interessiert. Es war der Mann, der dem Druiden den Schild überreicht hatte; ein kräftiger, ehrfurchtgebietender Mann mit einem dichten, schwarzen Bart und stahlblauen Augen. Unter seinem grünen Umhang trug er eine mit Fuchsfell gesäumte Tunika. Der schwere Torques – der keltische Goldreif – um seinen Hals zeigte seinen hohen Rang. Zweimal in den letzten Monaten hatte der Kommandant diese Gegend besucht und dabei jedesmal eine Nacht in dem Weiler gegenüber von Londinos verbracht. »Wappnet euch«, hatte er den Männern befohlen, nachdem er ihre Waffen begutachtet hatte. »Der große Häuptling Cassivelaunus plant, unsere Truppen hier in der Nähe zusammenzuziehen.« Nun ließ die Mutter von Segovax ihre Kinder allein und trat auf ihn zu.
    Der Edelmann musterte sie eingehend. Sie war eine sehr attraktive Frau, schlank, mit großen Brüsten und dichtem, rabenschwarzem Haar, das ihr bis über die Schultern fiel.
    »Nun?« fragte er kurzangebunden.
    »Gilt unsere Vereinbarung noch?«
    Er warf einen Blick auf die Kinder, dann auf den Ehemann der Frau, der mit seinem Ruderboot und dem Druiden schon ein gutes Stück flußaufwärts gekommen war.
    »Das habe ich dir doch schon gesagt.«
    »Er darf nichts davon erfahren.«
    »Wenn ich einen Befehl erteile, dann wird er befolgt.«
    Sie nickte, und er gab ihr ein Zeichen, daß ihr Gespräch beendet war. Kurz darauf ritt er davon. Cartimandua kehrte zu ihren Kindern zurück,
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