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London

London

Titel: London
Autoren: Edward Rutherfurd
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ihn. Vor ihm lag ein großes Abenteuer. Die Mündung war eine Pforte, und der Ort Londinos war der Ausgangspunkt für eine Reise, die in diese wundervolle, offene Welt führte.
    »Dort drüben rechts«, bemerkte sein Vater, »gibt es einen anderen großen Fluß.« Und er deutete auf einen Ort, ein paar Meilen entfernt, an der hohen Küstenlinie, wo hinter einem Vorsprung ein großer Fluß aus Kent sich einen Durchbruch in den Kreidefelsen gebahnt hatte und sich hier mit ihrem Fluß verband.
    Eine weitere Stunde trieben sie die Flußmündung hinab. Die Strömung wurde langsamer, das Wasser immer bewegter. Das Weidenboot begann hin- und herzuhüpfen. Das Wasser schien nun grüner, dunkler zu werden. Der Grund war nicht mehr zu sehen, und als Segovax ein wenig Wasser schöpfte und es trinken wollte, fand er heraus, daß es salzig war.
    »Die Gezeiten wechseln wieder«, bemerkte sein Vater.
    Überrascht stellte Segovax fest, daß ihm von der Bewegung des kleinen Bootes übel wurde. Sein Vater lächelte. »Ist dir schlecht? Das wird noch schlimmer, wenn du erst mal dort draußen bist!« Er deutete auf die offene See. Segovax blickte zweifelnd auf die weit entfernten hohen Wellen. »Aber trotzdem würdest du gern einmal auf dem Meer segeln?« fragte der Vater. Er hatte wohl seine Gedanken gelesen.
    »Ich glaube schon. Eines Tages, ja.«
    »Der Fluß ist sicherer«, meinte der Vater. »Dort draußen auf dem Meer kann man ertrinken. Das Meer ist grausam. Es wird Zeit, daß wir wieder umkehren. Wir haben Glück, der Wind dreht.«
    Es stimmte, nun kam der Wind aus Südosten. Das kleine Segel flatterte, als der Fischer das Boot zur Heimkehr wendete. Segovax seufzte. Ihm war, als würde kein Tag in seinem Leben jemals wieder so vollkommen sein wie dieser, an dem er allein mit seinem Vater im Weidenboot zum Meer hinabgefahren war. Allmählich wurde das Wasser wieder ruhiger. Die Nachmittagssonne war warm. Segovax war ziemlich müde.
    Er wachte erschrocken auf, als sein Vater ihn sanft rüttelte. Sie waren nur sehr langsam vorangekommen. Obwohl bereits eine ganze Stunde vergangen war, kamen sie erst jetzt an der Flußkurve an, an der die Trichtermündung begann. Der Vater murmelte: »Sieh dir das an!« Er deutete auf ein Ding im Wasser, kaum eine halbe Meile von ihnen entfernt.
    Ein großes Floß überquerte langsam den Fluß vom Nordufer her. Etwa zwanzig Männer mit langen Stöcken stakten es über den Strom. Hinter ihnen legte ein weiteres Floß ab. Auf jedem Floß war ein riesiger Streitwagen festgezurrt.
    Der keltische Streitwagen war eine gefürchtete Waffe. Er wurde von flinken Pferden gezogen und war ein leichtes, dennoch stabiles Gefährt auf zwei Rädern, das einen voll bewaffneten Krieger und etliche Helfer tragen konnte. Diese Streitwagen waren extrem wendig und konnten mit großer Geschwindigkeit in ein Gefecht hineinrasen, während die Krieger nach rechts und links ihre Speere schleuderten oder Pfeile abschossen. Manchmal waren messerscharfe Sicheln an den Rädern befestigt, die jeden, der dem Wagen zu nahe kam, in Stücke schnitten. Der Streitwagen auf dem ersten Floß war rot und schwarz bemalt und glitzerte im Licht der Sonne. Segovax starrte ihn fasziniert an.
    Als sie sich dem Ufer näherten, rief sein Vater plötzlich: »Segovax, siehst du den großen Mann auf dem schwarzen Pferd? Das ist Cassivelaunus!«
    Die nächsten zwei Stunden waren sehr aufregend. Segovax mußte am Weidenboot warten, während sein Vater sich mit den Männern unterhielt und ihnen half, die Flöße ans Ufer zu ziehen. Nicht weniger als zwanzig Streitwagen und dazu noch um die fünfzig Pferde wurden über den Fluß geschafft. Auf den größten Pferden ritten die Krieger, die kleineren, doch sehr flinken Pferde waren für die Streitwagen bestimmt. Zahlreiche Männer und Waffen wurden über den Fluß gebracht. Einige der Männer trugen herrliche, bunte Umhänge und glänzenden Goldschmuck. Der Höhepunkt war, als der große Häuptling persönlich – eine riesige Gestalt in einem roten Umhang mit einem langen, herunterhängenden Schnurrbart – seinen Vater zu sich rief und mit ihm sprach. Segovax sah, wie sein Vater vor ihm niederkniete, wie der große Mann freundlich lächelte und eine Hand auf die Schulter seines Vaters legte und ihm dann eine kleine Brosche überreichte. Der Junge errötete vor Stolz.
    Erst am späten Nachmittag kehrte sein Vater wieder zu ihm zurück. »Es wird Zeit, daß wir aufbrechen«, sagte er. Bald waren sie ein
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