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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German)
Autoren: Vladimir Nabokov
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Übersetzung ist die Geschichte einer Enttäuschung. Ach, jene «reiche russische Sprache», die immer noch irgendwo auf mich zu warten schien, die als wahrer Frühling hinter fest verschlossenen Türen blühte, zu denen mir der Schlüssel viele Jahre lang vorenthalten blieb, erwies sich für mich als nicht existent. Hinter diesen Türen gibt es nichts als verkohlte Baumstümpfe und eine herbstliche Ferne voller Hoffnungslosigkeit, und der Schlüssel in meiner Hand ist eher einem Dietrich ähnlich.
    Ich tröste mich erstens damit, daß an der Plumpheit der vorliegenden Ubersetzung nicht nur der seiner Muttersprache entwöhnte Übersetzer schuld ist, sondern auch der Geist der Sprache, in die übersetzt wurde. Nach einem halben Jahr Arbeit an der russischen Lolita habe ich mich nicht nur von dem Verlust vieler persönlicher Nippsachen und unwiederbringlicher sprachlicher Fertigkeiten und Kostbarkeiten überzeugt, sondern auch einige generelle Schlußfolgerungen bezüglich der gegenseitigen Übersetzbarkeit zweier erstaunlicher Sprachen gezogen.
    Körperbewegungen, Grimassen, Landschaften, das Leid der Bäume, Gerüche, Regengüsse, die schmelzenden und schillernden Nuancen der Natur, alles Zärtlich-Menschliche (wie seltsam!), aber auch alles Bäuerliche, Grobe, alles Saftig-Zotige kommt auf russisch nicht schlechter heraus als auf englisch, wenn nicht gar besser; aber die dem Englischen so eigentümlichen feinen Unklarheiten, die Poesie des Gedankens, die blitzschnelle Überschneidung abstraktester Begriffe, das Herumschwärmen einsilbiger Epitheta, alles das, und auch alles, was sich auf Technik, Mode, Sport, die Naturwissenschaften und widernatürliche Leidenschaften bezieht, wird im Russischen ungeschlacht, wortreich und oft in Stil und Rhythmus abstoßend. Diese Inkongruenz spiegelt den grundlegenden historischen Unterschied zwischen der unreifen russischen Literatursprache und der englischen Sprache wider, die so ausgereift ist wie eine aus den Nähten platzende Feige, zwischen dem genialen, allerdings noch unzureichend geschliffenen, manchmal doch reichlich geschmacklosen Jüngling und dem respektheischenden Genie, das in sich die Vorräte bunten Wissens mit einer vollkommenen Freiheit des Geistes vereint. Die Freiheit des Geistes! Der ganze Atem der Menschheit liegt in diesen Worten.
    Die bibliographischen Angaben im Nachwort zur amerikanischen Ausgabe (Putnam, 1958) können jetzt vervollständigt werden. Die mit Druckfehlern gespickte erste Ausgabe, die zweibändig in Paris erschienen war (Olympia Press, 1955), verkaufte sich zunächst recht mühsam an englische Touristen, bis ein Exemplar dann Graham Greene in die Hände geriet, der sich in einer Londoner Zeitung lobend über das Buch äußerte. Darauf fiel in einer anderen Londoner Zeitung ein reaktionärer Feuilletonist, ein gewisser John Gordon, über ihn und Lolita her, und erst dessen tugendhaftes Entsetzen lenkte die Aufmerksamkeit auf den Roman. Was ihr Schicksal in den Vereinigten Staaten betrifft, so ist zu sagen, daß sie dort niemals verboten war (wie es in einigen Ländern noch bis zum heutigen Tage der Fall ist). Die ersten Exemplare der Pariser Ausgabe der Lolita, von Privatpersonen subskribiert, wurden beim amerikanischen Zoll festgehalten und gelesen, doch ein unbekannter diensthabender Leserfreund kam zu dem Schluß, es handele sich bei meiner Lolita um legale Literatur. Daraufhin wurden den Adressaten die Exemplare zugestellt. Das zerstreute die Bedenken der vorsichtigen amerikanischen Verlage, und schon konnte ich mir unter ihnen den besten aussuchen. Der Erfolg der Putnam-Ausgabe (1958) übertraf, wie man so sagt, alle Erwartungen. Paradoxerweise jedoch wurde die erste englische Ausgabe, 1955 in Paris erschienen, plötzlieh verboten. Ich frage mich oft, wie ich mich in jenen Tagen verhalten hätte, als die Verhandlungen mit der Olympia Press begannen, hätte ich damals schon gewußt, daß der Verleger neben seinen Einkünften aus der Drucklegung talentierter, wenn auch freizügiger Werke seinen Hauptverdienst aus abgeschmackten, wertlosen Auftragswerken bezog, die genau der gleichen Kategorie angehörten wie die an dunklen Straßenecken feilgebotenen Photos der Nonne mit dem Bernhardiner oder des Matrosen mit dem Matrosen. Wie auch immer, im strengen und nüchternen Nebel filterten die englischen Zöllner diesen pornographischen Schmutz, der in die gleichen Umschläge von geschmackloser Farbe verpackt war wie meine Lolita, schon seit
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