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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German)
Autoren: Vladimir Nabokov
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hoffnungslos schmerzte, sondern das Fehlen ihrer Stimme in diesem Chor.
    Dies also ist meine Geschichte. Ich habe sie nochmals
    durchgelesen. Mark klebt daran und Blut und schöne grünschillernde Fliegen. Bei dieser und jener Wegbiegung fühle ich, wie mein schlüpfriges Ich sich mir entzieht und in tiefere, dunklere Wasser hinabtaucht, die ich lieber nicht sondiere. Ich habe getarnt, was ich konnte, um lebende Personen nicht zu verletzen. Und ich habe mit vielen Pseudonymen für mich selber gespielt, ehe ich auf ein besonders geeignetes verfiel. In meinen Notizen finden sich «Otto Otto» und «Mesmer Mesmer» und «Lambert Lambert», aber aus irgendeinem Grund finde ich, daß der endgültig gewählte Name das Unangenehme an mir am besten trifft.
    Als ich vor sechsundfünfzig Tagen anfing, Lotita zu schreiben, erst auf der psychiatrischen Beobachtungsstation und dann in dieser wenn auch gut geheizten, so doch gruftartigen Abgeschiedenheit, dachte ich daran, diese Notizen in ihrer Gesamtheit für meinen Prozeß zu benutzen, natürlich nicht, um meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, sondern um meine Seele zu retten. Mitten in meiner Arbeit jedoch wurde mir klar, daß ich die lebende Lolita nicht zu einem Schauobjekt machen konnte. Vielleicht werde ich Teile dieser Memoiren in Verhandlungen unter Ausschluß der Öffentlichkeit verwenden, aber die Publikation muß aufgeschoben werden.
    Aus Gründen, die offensichtlicher scheinen, als sie es in Wirklichkeit sind, bin ich ein Gegner der Todesstrafe; der Richter, der das Urteil spricht, wird diese Ansicht hoffentlich teilen. Hätte ich mir selber den Prozeß zu machen, so verurteilte ich Humbert wegen Vergewaltigung zu mindestens fünfunddreißig Jahren und ließe den Rest der Anklage fallen. Aber auch dann wird Dolly Schiller mich vermutlich um viele Jahre überleben. Folgende Bestimmung treffe ich mit allen rechtlichen Folgen und Garantien eines unterzeichneten Testaments: Ich wünsche, daß diese Aufzeichnungen erst dann veröffentlicht werden, wenn Lolita nicht mehr am Leben ist.
    Keiner von uns beiden also ist am Leben, wenn der Leser dies Buch aufschlägt. Aber solange das Blut durch meine schreibende Hand pulst, bist du noch ebenso ein Teil seliger Materie wie ich, und ich kann noch immer von hier aus zu dir nach Alaska sprechen. Sei deinem Dick treu. Laß keinen anderen dich berühren. Sprich nicht mit Fremden. Ich hoffe, du wirst dein Baby liebhaben. Ich hoffe, es wird ein Junge. Dein Mann wird dich hoffentlich immer gut behandeln, denn sonst wird mein Gespenst wie schwarzer Rauch, wie ein wahnsinniger Riese über ihn kommen und ihn in Stücke reißen, Nerv um Nerv. Und hab kein Mitleid mit C. Q. Man mußte zwischen ihm und H.H. wählen, und man wollte H.H. wenigstens noch ein paar Monate länger existieren lassen, damit er dich in der Phantasie späterer Generationen am Leben erhalten konnte. Ich denke an Auerochsen und an Engel, an das Geheimnis zeitbeständiger Pigmente, an prophetische Sonette, an die Zuflucht der Kunst. Und dies ist die einzige Unsterblichkeit, an der du und ich gemeinsam teilhaben dürfen, meine Lolita.

    *   *   *   *   *   *
    E   N   D   E

Über ein Buch mit dem Titel «Lolita»
    Nachdem ich in die Rolle des verbindlichen John Ray geschlüpft bin, der Figur, die in Lolita das Vorwort schreibt, mögen alle Kommentare, die unmittelbar von mir kommen, so wirken - auch auf mich so wirken -, als spielte ich nun die Rolle von Vladimir Nabokov, der über sein Buch spricht. Einige Punkte jedoch sollten erörtert werden; und das Mittel der Autobiographie mag dazu beitragen, daß Schauspieler und Modell eins werden.
    Literaturprofessoren sind geneigt, Fragen aufzuwerfen wie: «Was ist die Absicht des Autors?» oder schlimmer noch: «Was will der Kerl damit eigentlich sagen?» Nun, ich gehöre zufällig zu jenen Autoren, die zu Beginn der Arbeit an einem Buch keine andere Absicht verfolgen, als sich das Buch vom Halse zu schaffen, und die, wenn man sie ersucht, seinen Ursprung und seine Entwicklung darzulegen, nur auf so traditionelle Begriffe wie Wechselwirkung zwischen Inspiration und der Kunst der Kombination zurückgreifen können -was sich zugegebenermaßen anhört, als erkläre ein Zauberkünstler einen Trick dadurch, daß er einen anderen vorführt.
    Der erste leise Pulsschlag von Lolita durchlief mich Ende 1939 oder Anfang 1940 in Paris, zu einer Zeit, als ich mit einem schweren Anfall von Interkostalneuralgie darniederlag. Soweit
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