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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter
Autoren: Esma Abdelhamid
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holte Pommes und Hähnchen von einem Imbiss. Und für jeden eine Flasche Cola. Als ich wiederkam, stürzten sie auf mich zu und rissen mir die Sachen aus der Hand. Sie waren hungrig und griffen gierig in die Tüten. Ich beobachtete sie: Wie lange es wohl dauern würde, bis sie sich an mich gewöhnten? Ich sah in ihre schmalen Gesichter mit den dunklen Ringen unter den Augen, sah ihre feinen Hände, auf denen sich die Haut schuppte, und sah ihre nackten Füße mit Schmutzrändern zwischen den Zehen, und ich fühlte, wie sehr sie mir gefehlt hatten. Wie hatte ich es nur so lange ohne sie aushalten können? »Na, schmeckt’s?«, fragte ich, und sie nickten mit vollen Mündern. Doch als ich zum Schluss meine mitgebrachten Süßigkeiten verteilen wollte, schüttelten sie ihre Köpfe und liefen trotzig zurück zum Auto.
    Auch zu Hause bei meinen Eltern fremdelten sie. Sosehr ich mich auch um die drei bemühte, sie blieben abweisend. Wer weiß, was man ihnen in der Schwagerfamilie über mich erzählt hatte. Ich fragte nicht, sie erzählen nichts. Wenn ich ihnen etwas von Deutschland berichten wollte, sagte Amin wütend: »Von dir lasse ich mir nichts sagen.« Und wenn ich ihnen sagte, wie sehr ich sie vermisst habe: »Davon haben wir nichts bemerkt.« Sie dachten, ich hätte sie im Stich gelassen. Etwas anderes konnten sie nicht denken, wie auch, da sie so lange nichts von mir gehört hatten. Wie ihnen erklären, dass ich so lange stillgehalten hatte, weil ich Angst gehabt hatte, sie sonst ganz zu verlieren? Zwei Jahre ohne Kontakt ist eine lange Zeit. Dass sie mich nicht sofort akzeptieren würden, hatte ich erwartet, aber dass es so schwierig werden würde, nicht. Ich fühlte ihre maßlose Enttäuschung, konnte aber nichts dagegen tun.
    Es muss schlimm gewesen sein. Was hatten die Kinder durchgemacht? Doch wenn ich sie fragte, wie es ihnen ergangen sei, liefen sie weg und ließen mich stehen. Sollen sie eine Zeit lang alle Freiheiten der Welt genießen und tun und lassen, was sie wollen, dachte ich. Lange genug waren sie eingesperrt gewesen. Ich ließ sie gewähren und sah ihnen zu, wie sie vor der hohen Mauer auf der sandigen Straße spielten. Sie nannten mich nicht mehr »Mama« wie früher, auch nicht »Ummi« auf Arabisch, sie fragten nicht, ob ich mit ihnen spiele, sie sprachen mich gar nicht mehr an. Es war, als kämen wir mit unseren Gefühlen dem Wiedersehen nicht hinterher.
    Ohne nach dem Warum zu fragen, gingen die Kinder mit mir zur Schulanmeldung, und ohne zu murren, kamen sie mit zum Fotografen, um Passbilder anfertigen zu lassen. Wir kauften Koffer und Taschen, um ihre Sachen zu packen, doch sie blieben apathisch und gleichgültig. Fast schien es, als ginge sie das Ganze nichts an. Wir gingen auf den Markt, wo sie bei den Schuhmachern und Schneidern aussuchen konnten, was sie wollten. »Gefallen dir diese Schuhe«, fragte ich Amal und zeigte auf blaue Sandalen. »Willst du sie haben?« Doch sie zuckte nur mit den Achseln. Als ich Jasin einen Mantel kaufen wollte, riss er ihn mir, bevor ich ihn bezahlen konnte, aus der Hand und rannte weg.

    Zwei Wochen später musste ich zurück nach Deutschland. Wieder ohne die Kinder, denn ohne gültige Pässe konnte ich sie nicht mitnehmen. Wir hatten die Papiere zwar gleich beantragt, aber wie lange das dauern würde, konnte uns keiner sagen. Zum ersten Mal war ich fast erleichtert über diese Frist. Obwohl ich mir nichts sehnlicher gewünscht hatte, als mit ihnen zusammen zu sein, war ihre Ablehnung die Hölle für mich. Kinder zu verlieren ist unsäglich und schmerzhaft, sie wiederzufinden auch.
    Warmer Regen fiel, als ich vor dem Gartentor stand und mich von der Familie verabschiedete. In Rinnsalen bahnte sich das Wasser seine Wege durch den Sand, irgendwo dröhnte eine Polizeisirene. Mein Vater hatte Feigen aus dem Garten geholt, mir ein paar als Proviant eingepackt und jedem Kind eine Frucht in die Hand gedrückt. Ich beobachtete sie, wie sie aßen, hastig, als würde man sie ihnen gleich wieder wegnehmen.
    »Warum gehst du wieder nach Deutschland?«, fragte Jasin. »Weil ich arbeiten und Geld verdienen muss, damit ihr zu mir kommen könnt.« – »Das hast du schon einmal gesagt.« – »Ich wusste nicht, dass es so lange dauern würde.« – »Wie sieht Deutschland aus?«, wollte Amal plötzlich wissen. Sie hatte es vergessen und verdrängt und erinnerte sich an gar nichts mehr. Aber ich freute mich über die Frage wie über ein aufglimmendes Feuer, das erloschen
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