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Lockruf des Blutes

Lockruf des Blutes

Titel: Lockruf des Blutes
Autoren: Jeanne C. Stein
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Ich kann mein Aussehen nicht im Spiegel überprüfen, aber mein Körper fühlt sich härter, schlanker, stärker an. David hat auch schon Bemerkungen darüber gemacht. Er glaubt, das liege daran, dass ich mehr Sport treibe.
    Ich glaube hingegen, das liegt an einer strengen Flüssigeiweiß-Diät. Aber das kann ich menschlichen Wesen schlecht erklären.
    Nun mischt sich mein Vater ein. »Lass sie doch, Anita. Ich finde, sie sieht gut aus. Sie hat ein bisschen abgenommen, das ist alles. Sie hat eben viel Sport getrieben.« Er wirft meiner Mutter einen vielsagenden Blick zu. »Das könnte uns auch nicht schaden. Zu viel Pasta und zu wenig Bewegung in dieser Familie. Wir sollten uns ein Beispiel an Anna nehmen.«
    Ich lächle ihn an und drücke seine Hand. Er ist braungebrannt und wirkt heute Abend entspannt und locker in seiner grauen Hose und seinem hellrosa Polohemd. Sein dichtes, graues Haar ist zurückgekämmt, und mit der auf den Kopf geschobenen Lesebrille sieht er aus wie der wohlhabende Investmentbanker, der er ist.
    »Das musst gerade du sagen«, schilt ihn meine Mutter. »Achtzehn Loch ein- oder zweimal die Woche, obendrein im Golfwagen, kann man wohl kaum als anstrengende sportliche Betätigung gelten lassen.«
    Das ist ein vertrautes Thema. Meine Eltern meiden körperliche Bewegung, wo es geht, und doch ist meine Mutter mit ihren sechzig Jahren eine der schönsten Frauen, die ich kenne. Sie ist knapp über eins sechzig groß, zierlich gebaut und schlank. Ihr honigfarbenes Haar zeigt erste silbrige Strähnen und fällt glatt und seidig über ihre Schultern.
    Körperlich ähneln wir uns sehr: dieselbe Haarfarbe, die gleichen haselnussbraunen Augen. Doch sie besitzt eine natürliche Anmut, die wie von innen heraus ihr Äußeres durchdringt. Ich hingegen habe das bodenständigere Temperament meines Vaters geerbt, und dazu sein dichtes, lockiges Haar. Eigentlich ein Glück, denn ich kann mich ja nicht mehr im Spiegel stylen. Da ich die Sonne vertrage, habe ich einen gesunden Teint, deshalb reicht es heutzutage, mir nach dem Duschen mit den Fingern durchs Haar zu fahren und ein wenig Lippenstift aufzulegen – mehr geht nicht.
    Das ist mal ein Plus an meinem neuen Dasein als Vampir.
    Die Stimme meines Vaters reißt mich aus diesen Gedanken. »Ich bin neulich am Strandhaus vorbeigefahren, Anna. Was glaubst du, wann du einziehen kannst?«
    Mein Lächeln ist breit und ungekünstelt. »Nächste Woche. Es sind nur noch ein paar Kleinigkeiten zu richten. Küchenschränke, Sockelleisten. Ich habe schon die Möbel bestellt. Sobald der Bauleiter mir Bescheid sagt, rufe ich das Möbelhaus an und vereinbare den Liefertermin.«
    »Und die Polizei weiß immer noch nicht, wer das Feuer gelegt hat?«
    Ich blicke in meine Kaffeetasse hinab und spiele einen Moment lang damit herum, ehe ich antworte. Ich weiß, wer das Feuer gelegt hat. Avery. Und ich habe selbst Gerechtigkeit geübt. Aber das kann ich ihm nicht erzählen.
    »Die Polizei glaubt, das waren irgendwelche Jugendlichen«, lüge ich. Noch etwas, worin ich inzwischen richtig gut geworden bin. »Aber egal, die Versicherung hat gezahlt, das Häuschen ist wieder aufgebaut, also werde ich mir keine großen Gedanken mehr darum machen, wer das war. Ich werde zu wütend, wenn ich darüber nachdenke.« Das zumindest ist wahr.
    In diesem Moment klingelt das Telefon, und meine Mutter steht auf, um dranzugehen. Im Vorbeigehen tätschelt sie meine Schulter. Ich stehe ebenfalls auf und sammle die Teller ein, um sie zum Spülbecken zu bringen. So habe ich Gelegenheit, die mit reichlich Knoblauch zubereitete Pastasauce von meinem Teller in den Müll zu schieben, ohne dass jemand den Würgereflex bemerkt, der mich zu überwältigen droht. Ich werde immer besser darin, solche Dinge zu verheimlichen, aber ich muss mir bald etwas einfallen lassen, wie ich meine Mutter sanft davon überzeugen kann, irgendetwas anderes als Pasta zu kochen, wenn ich zum Essen komme. Vielleicht eine Allergie gegen Tomatensauce?
    Ich räume gerade die Spülmaschine ein, als sie wieder hereinkommt. Ein fragender, bekümmerter Zug um ihre Mundwinkel verwundert mich.
    »Anna«, sagt sie, »erinnerst du dich an Carolyn Delaney? Steves Freundin von der Cornell University?«
    Ich wende mich meiner Mutter zu und hoffe, dass meine Miene nur Neugier widerspiegelt und nicht das unerklärliche Gefühl nahenden Unheils, das mir den Rücken hochkriecht. »Was ist mit ihr?«
    Sie hat zum Schwamm gegriffen und wendet sich der
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