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Lockruf des Blutes

Lockruf des Blutes

Titel: Lockruf des Blutes
Autoren: Jeanne C. Stein
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beobachtet mich. Als ich seinem Blick begegne, nickt er. Was da hinten geschehen ist, ist nicht perfekt, aber das Beste, was wir tun können.
    Ich weiß, dass das stimmt. Aber es muss mir ja nicht gefallen.
    Er beugt sich über die Bar, und sein scharfer Blick gilt meiner Erwiderung, die er aus der Luft gepflückt hat. Sein Gesicht ist alterslos und doch alt, von Fältchen und Runzeln durchzogen, eingegraben vom Verlauf eines Lebens, über das ich nichts weiß.
    Nun schließt er mich aus seinen Gedanken aus, und die Leichtigkeit, mit der ihm das gelingt, beunruhigt mich. Ich bin ein Vampir und stehe damit angeblich am obersten Ende der Nahrungskette, was die Unsterblichen betrifft. Ich weiß nicht einmal, was Culebra ist. Das hat er mir noch nicht eröffnet. Er kann meine Gedanken lesen und ich die seinen, wenn er es mir erlaubt. Er ist das einzige nichtmenschliche Geschöpf, das sich mir so vollkommen verschließen kann, dass ich nicht einmal einen Hinweis auf sein wahres Wesen erhasche. Und doch, seit dem Tod Averys, des Vampirarztes, der sich um mich gekümmert hat, als ich zum Vampir wurde, ist diese seltsame Gestalt, deren Name »Klapperschlange« bedeutet, zu einem meiner engsten Freunde geworden.
    Er starrt mich wieder an, stochert in meinen Gedanken herum wie ein Bettler in einem Sack voller Kleidung – hoffnungsvoll, erwartungsvoll, und doch resigniert in dem Wissen, dass er vermutlich nur Lumpen finden wird. Nichts Neues und nichts, das passt.
    Also. Seine Mundwinkel verziehen sich finster abwärts. Du hast noch nicht mit Williams gesprochen, oder?
    Williams. Chief Warren Williams vom San Diego Police Department, um genau zu sein. Ein Freund von Avery, dachte ich zumindest. Culebra ist der Meinung, dass er fortsetzen sollte, was Avery begonnen hatte – mich darin zu unterweisen, wie man als Vampir überlebt. Doch Williams und ich haben keinen guten Start erwischt – und sind noch übler auseinandergegangen.
    Ich schüttele den Kopf. Was kann er mir schon sagen? Nichts, was ich hören möchte. Und was kann ich ihm sagen? Wie leid es mir tut, dass ich ihn beinahe umgebracht hätte? Das wäre eine Lüge.
    Er schnaubt ungeduldig. Ich nehme an, du bist noch nicht auf die Idee gekommen, dass er dir Dinge sagen könnte, die wichtig für dich wären. Wirklich wichtig. Etwas über dein Erbe und darüber, was vor dir liegt.
    Mein Erbe? Du meinst, ich sollte dringend herausfinden, dass ich ein Nachkomme von Vlad dem Pfähler bin? Das verächtliche Kichern, das bei dieser Vorstellung in mir aufsteigt, kann ich nicht unterdrücken. Seit wann stehst du überhaupt in Williams’ Diensten? Jedes Mal, wenn ich hierherkomme, erzählst du mir dasselbe. Es wird allmählich langweilig.
    Seine Miene verfinstert sich noch mehr. Dann nimm mein Angebot an. Bleib hier. Arbeite mit mir zusammen. Ich kann dich lehren, was du wissen musst.
    Ich stelle die Flasche auf die Bar und winke ab. Ich kann dir sagen, was ich wissen muss. Ich habe ein Leben in San Diego. Mein Haus ist fast wieder aufgebaut. Mein Geschäft läuft gut. Wie sollte ich es den anderen erklären, wenn ich all das zurücklasse, um hierherzuziehen? Was sollte ich meinen Eltern sagen?
    Culebras Ärger ist spürbar. Diese Sorge um Sterbliche. Sein Tonfall klingt scharf. Jetzt verstehe ich, warum Avery so genervt von dir war.
    Unwillkürlich spanne ich die Schultern an. Dass Culebra Avery jetzt erwähnt, ist grausame Absicht. Ich habe Avery vollkommen vertraut, und er hat nicht nur mein Vertrauen missbraucht, sondern mich beinahe umgebracht. Ich glaubte, ihn zu lieben, und dadurch war alles, was zwischen uns geschah, noch viel schmerzhafter. Culebra weiß das genau.
    Ich lege beide Hände auf die Bar, um mich abzustützen, bevor ich den Blick hebe und ihm in die Augen sehe. Du kannst mich nicht ködern. Ich schulde dir etwas. Und ich bin bereit, diese Schuld zu begleichen. Aber ich werde die Zeit, die mir mit meiner Familie und meinen Freunden noch bleibt, nicht aufgeben, um hier bei dir zu sein. Mein Leben gehört mir. Ich dachte, das hätte ich dir klargemacht.
    Culebra hält meinem Blick stand. Er gibt nicht nach. Ein Leben, das du damit zubringst, menschlichen Abschaum zu jagen, der wegen belangloser Vergehen gegen Menschen gesucht wird. Du gibst dich mit Kriminellen ab. Das ist unter deiner Würde.
    Ich lächle. Dieses Städtchen, Beso de la Muerte, Kuss des Todes – ist das nicht ein beliebter Zufluchtsort in Mexiko? Bietest du hier nicht sowohl menschlichen
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