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Lockende Versuchung

Lockende Versuchung

Titel: Lockende Versuchung
Autoren: Deborah Hale
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kamen. Unter Juliannas geschickten Fingern erklangen die Klagelieder ihres in blutigen Schlachten niedergerungenen Volkes. Wie viele ihrer Vorfahren mochten in eine Ehe gezwungen worden sein, die andere beschlossen hatten? Wie viele waren zum Opfer der Kriegszüge geworden, missbraucht und verlassen? Wie viele hatten der Liebe eines sterblichen Mannes entsagt und einen entbehrungsvollen Frieden in den Armen der Kirche gefunden? Nicht wenige Jahrhunderte waren darüber hinweggegangen, und doch war eine Frau noch immer nicht mehr als ein Stück Vieh.
    Weiter und immer weiter spielte Julianna, auch als ihre Finger bereits schmerzten. Versunken in die süßen, wehmütigen Klänge sang sie die alten Weisen dazu mit einer Stimme, die rau war von ungeweinten Tränen. Zu einem der Lieder kehrte sie immer wieder zurück. Es stammte von ihrem Vorfahren Gryffud ab yr Yneed Coch und war ein Trauergesang für Llywelyn Olaf, den letzten fürstlichen Herrscher von Wales.
    „Siehst du nicht den Weg des Windes, den Pfad des Regens Merkst du nicht, dass die Welt zu Ende ist?“, schloss er voller Verzweiflung.
    „Oh, Mylady, wie herrlich das klingt!“
    Bei dem Klang von Gwenyths Stimme fuhr Julianna zusammen. In der Zuflucht ihres Bettes hatte sie alles um sich herum vergessen. Nun aber musste sie aus ihrer Höhle kriechen und sich einem Schicksal stellen, dem sie nicht ausweichen konnte.
    „Ich habe niemanden wieder die Harfe spielen gehört, seit ich von daheim weggegangen bin“, sagte Gwenyth, während sie die Bettvorhänge aufzog. „Das war doch Llywelyns Klage, nicht wahr? Es klingt wundervoll, obwohl es so traurig ist.“
    Resigniert legte Julianna das Instrument zur Seite, erhob sich und fragte sich dabei, was Gwenyth wohl davon halten mochte, dass eine Braut vor ihrer Hochzeitsnacht ein Trauerlied sang. Doch die kleine Zofe war offensichtlich zu gut erzogen, um das Tun und Lassen ihrer neuen Herrin infrage zu stellen. „Ich habe noch einen Bissen zu essen mitgebracht, Mylady, falls Euch danach ist“, sagte sie freundlich.

    Julianna nickte schweigend. Vom Türrahmen aus blickte sie beklommen auf ihr Bett zurück. Würde es ihr nach dieser Nacht jemals wieder als eine sichere Zuflucht erscheinen? Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Angstvoll wickelte sie sich fester in ihren Schal und betrat rasch den Salon, in dem ein helles Feuer im Kamin brannte und der Tisch einladend gedeckt war. Nie zuvor hatte Julianna ein derartiges Verlangen nach Ablenkung und Gesellschaft gehabt wie am heutigen Abend.
    „Gwenyth, willst du mir einen Gefallen tun? Komm her und trinke eine Tasse Tee mit mir.“
    Die Zofe sah sich erschrocken um, so als sei ihr ein rachedürstender Mr Brock auf den Fersen. „Oh, Ma’am, das geht nicht. Es gehört sich doch nicht, nicht wahr?“
    „Das kann schon sein. Aber ich möchte jetzt nicht allein sein. Es wäre mir wirklich sehr lieb, wenn du bei mir bleiben würdest.“
    Gwenyth schwankte sichtlich zwischen dem offenkundigen Wunsch nachzugeben und einem ausgeprägten Gefühl für Anstand.
    „Nun, ich werde tun, was Ihr wünscht, Ma’am. Aber ich trinke keinen Tee. Ich werde einen Eurer Koffer auspacken, während Ihr esst.“
    „Danke, Gwenyth. Das ist wahrscheinlich die beste Lösung. Vielleicht kannst du mir dabei noch etwas über Sir Edmund erzählen … ich meine, nicht nur von seinem Abscheu vor Schmutz. Ich muss nämlich zugeben, dass ich noch keine sehr deutliche Vorstellung von meinem Gemahl habe.“ Nach den letzten Worten räusperte sich Julianna verlegen.
    „Soweit mir das möglich ist, gern, Mylady. Aber der Herr hat leider bisher kaum ein Wort zu mir geäußert. Deshalb war ich ja auch so verdutzt, als er mir befahl, Euch die Suite zu zeigen. Mr Brock und auch Tantchen Enid arbeiten schon sehr lange für ihn, und sie glauben anscheinend, dass Sir Edmund sogar die Sonne auf- und untergehen lassen kann.“
    Juliannas Miene hatte offensichtlich ihre Gefühle für Sir Edmunds furchterregenden Haushofmeister verraten, denn das Mädchen kicherte belustigt. „Ach, ganz so schlimm ist unser Mr Brock gar nicht“, beruhigte sie ihre Herrin. „Er bewacht zwar unseren Herrn wie eine alte Bulldogge, aber sein Bellen ist dabei schlimmer als sein Beißen.“
    „Ich hoffe“, rief Julianna amüsiert, „dass ich, um die Wahrheit deiner Behauptung herauszufinden, nicht erst selbst gebissen werden muss!“
    Wieder brachen die Mädchen in schallendes Gelächter aus, und es dauerte eine
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