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Lockende Versuchung

Lockende Versuchung

Titel: Lockende Versuchung
Autoren: Deborah Hale
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gewechselt.
    Als sie sich später dem ungewohnten Genuss ihres Bades hingab, dachte Julianna zum wiederholten Male über ihre neue Situation nach und ließ sich mit dem duftenden Seifenwasser auch die Erinnerung an Jeromes lüsternen Zugriff abwaschen. Ob es wohl besser sein würde, wenn ihr Bräutigam heute Abend in ihr Zimmer kam, um sein Recht als Ehemann wahrzunehmen? Der Gedanke, dicht und unbekleidet neben einem Fremden im Bett zu liegen, trieb ihr die heiße Röte ins Gesicht, und vor Zorn schienen ihr fast die Haare zu Berge zu stehen. Ungeachtet aller Schwüre, kirchlicher Segenssprüche und notariell beglaubigter Ehekontrakte konnte sie sich das Ganze nicht anders vorstellen als einen Akt roher Gewalt.
    Sir Edmund Fitzhugh wirkte so zurückhaltend und gelassen, und es war einfach undenkbar, dass diese harten Lippen küssen könnten, diese festen Hände zärtlich liebkosen, diese raue Kommandostimme Liebesworte murmeln … Aber war es nicht ihre Pflicht, sich dem Manne dankbar zu erweisen, der sie vor einem weitaus schlimmeren Schicksal bewahrt hatte?
    Zu guter Letzt saß Julianna, eingehüllt in ein warmes Barchenttuch, vor dem Spiegel und ließ sich von Gwenyth die feuchten Locken auskämmen und über ihre Kindheit im fernen Wales berichten. Die feuchtwarme Luft in dem kleinen Raum hatte die rosige Färbung ihrer Wangen zurückgebracht. Das Kaminfeuer ließ ihr rotbraunes Haar wie Gold und Kupfer schimmern. Sie hatte beschlossen, es in ihrer Hochzeitsnacht offen zu tragen, über Schultern und Nacken ausgebreitet sollte es sie wie ein Mantel umhüllen. Als die bereits treu ergebene Gwenyth endlich ihr Werk vollendet hatte, schickte Julianna sie fort, um sich ein wenig auszuruhen, nicht ohne ihr zuvor zu versichern, dass sie sich um ihre Zuweisung als Zofe bemühen werde.
    Eine Zeit lang starrte Julianna erschöpft in den Baldachin über ihrem Bett und wartete auf denerlösenden Schlaf. Doch trotz der vielen unruhigen Nächte, die hinter ihr lagen, konnte sie kein Auge zutun. So erhob sie sich denn wieder, nahm eine Kopie des „Don Quichotte“ von dem spanischen Dichter Miguel de Cervantes aus dem Bücherschrank und setzte sich damit auf die mit Brokat bezogene Polsterbank. Mit sechzehn Jahren hatte sie das von ihr bewunderte Buch in mühevoller Arbeit aus dem Spanischen ins Englische übersetzt. Doch heute konnte nicht einmal Señor de la Mancha ihre Gedanken in den Bann ziehen. Nach einer halben Stunde bereits gab sie den vergeblichen Versuch wieder auf, sich durch Lesen abzulenken. Wo findet ein Mädchen heutzutage einen fahrenden Ritter, wenn es seiner bedarf, fragte sie sich seufzend, während sie den Band an seinen Platz zurückstellte.
    Ruhelos wanderte sie, einem Tier im Käfig gleich, durch die Zimmer und blieb nur hin und wieder an einem der Fenster stehen, um einen Blick in den Hof oder in den Garten zu werfen. Der Wind hatte wieder aufgefrischt und warf die Regenschauer prasselnd gegen die breiten Fenstersimse. In den dunklen Scheiben spiegelte sich ihr Bild: ein geisterhaftes Mädchen, das Regentropfen weinte.
    Irgendetwas in dem Aufruhr des Wetters rührte eine Saite in Juliannas keltischer Seele an. Wenn sie ihrer Unruhe nicht Herr wurde, war es wohl besser, sich in sie zu versenken. Entschlossen kroch sie in das Bett zurück, zog die Vorhänge zu, sodass sie wie von einer Hülle aus Dunkelheit umgeben war, und griff nach ihrer Harfe. Als sich ihre Hände um die vertrauten Rundungen aus Eschenholz schlossen, ließ sie die Stirn auf das altväterliche Instrument sinken.
    Die Finsternis ringsumher gab ihr ein Gefühl der Sicherheit. Schon als Kind hatte sie gern im Dunkeln gesessen. Dunkelheit schützte vor verborgenen Gefahren, bewachte heimliche Tränen und achtete ganz persönliche Sorgen und Ängste. Und in der kühlen Umarmung der Finsternis konnte sie sich am besten auf den Klang und den Ausdruck ihres Harfenspiels konzentrieren. Langsam zog Julianna das mit Schnitzereien verzierte Instrument in die richtige Stellung. Sie hatte sich vor dem Verlust der Harfe mehr gefürchtet als vor dem Verlust der Finger, die jetzt leise an den Saiten zupften. Nach altem walisischen Recht durfte die Harfe unter keinen Umständen dazu benutzt werden, die Schulden seines Besitzers zu begleichen. Ein Engländer würde das niemals begreifen.
    Heute Abend würde keine andere Musik ihre Seele erfüllen können als die uralten walisischen Balladen, die nur auf der altertümlichen Harfe richtig zur Geltung
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