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Lockend klingt das Lied der Wueste

Lockend klingt das Lied der Wueste

Titel: Lockend klingt das Lied der Wueste
Autoren: Barbara McMahon
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doch nicht so schlimm, einen Gast zu haben. Lisa wusste nichts über ihn. Einen Abend lang konnte er nichts weiter sein als ein Mann, der sich mit einer Fremden unterhielt. Er begann sich darauf zu freuen. Zum ersten Mal seit Nuras Tod würde er nicht von schmerzlichen Erinnerungen gequält werden.
    Im Zelt war es dunkel. Er hatte vergessen, die Lampen anzuzünden.
    „Gehen Sie immer mit den Hühnern schlafen?“, kam eine Stimme vom Diwan her.
    „Bitte verzeihen Sie. Ich habe nicht daran gedacht, Licht zu machen.“ Rasch holte er das Versäumte nach und zündete mehrere Lampen an, deren warmer Schein das Zeltinnere behaglich erleuchtete.
    Bequem lag Lisa zwischen den Kissen auf dem Diwan. Karim wusch die benutzten Teller, dann setzte er sich ihr gegenüber auf eins der Bodenkissen und betrachtete sie nachdenklich. Das Licht der Lampen ließ ihre Augen schillern und verlieh ihrem Teint einen seidigen Glanz. Im Geist spürte er wieder ihren Körper in seinen Armen, als der Sandsturm über sie hinweggefegt war und er nur ihre Sicherheit im Sinn gehabt hatte. Für einen Moment überkam ihn der Wunsch, ihre Haut zu berühren, um zu sehen, ob sie tatsächlich so samtweich war, wie sie jetzt erschien.
    „Sie sind also Archäologin?“, begann er das Gespräch.
    „ Nein, ich arbeite als Fotografin für das Team.“
    „Und was fotografieren Sie? Die Ausgrabungsstätte?“
    „Ja, in den einzelnen Stadien der Freilegung. Und natürlich alle Fundstücke. Selbst Tonscherben werden nummeriert, beschriftet und fotografiert. Der Katalog wird ziemlich umfangreich.“
    Karim nickte.
    „Ich kann dabei eine ganze Menge lernen“, fuhr Lisa fort. „Professor Sanders, der das Projekt leitet, ist ein begeisterter Lehrmeister der arabischen Geschichte, und er weiß sehr viel über das Leben der Beduinen, die dieses Gebiet vor Hunderten von Jahren bewohnten. Auch die Kaufleute mit ihren Karawanen, die durch die Wüste zogen, kann er äußerst plastisch beschreiben.“
    „Vermutlich tut er das mit weitaus mehr Romantik, als es sie in Wirklichkeit gegeben hat“, bemerkte Karim.
    „Was wollen Sie damit sagen?“
    „Dass es Ihnen offenbar erscheint wie im Märchen. Aber die Menschen hatten es nicht leicht. Die Männer waren oft monatelang unterwegs. Es gab keine Garantie dafür, dass die Karawanen nicht von Räubern überfallen wurden, oder – noch schlimmer – in einen Sandsturm wie den heute gerieten. Es war kein glanzvolles Leben.“
    „Für die damaligen Verhältnisse schon, denke ich“, widersprach Lisa. „Die Leute reisten von einem Ort zum anderen, sahen fremde Länder und trafen andere Menschen. Auch heute gibt es Berufe – teils sogar gefährliche – die es erfordern, dass man für länger von zu Hause weg ist. Zu allen Zeiten waren Leute bereit, für ein Abenteuer ihr Leben zu riskieren.“
    „Suchen auch Sie das Abenteuer?“
    Lisa zuckte die Schultern. „Bis zu einem gewissen Grad, ja. Was ich in Moquansaid mache, unterscheidet sich sehr von meinem Leben in den USA.“
    „Und Ihre Familie vermisst Sie nicht, wenn Sie so lange weg sind?“
    Ein wehmütiger Ausdruck huschte kurz über ihr Gesicht. „Ich habe keine Familie. Aber meine Freunde freuen sich mit mir, dass ich eine solche Gelegenheit geboten bekam. Niemand vermisst mich.“
    Karim konnte sich gar nicht vorstellen, keine Angehörigen zu haben und ganz allein auf der Welt zu sein. Wenn Nura unterwegs gewesen war, hatte er immerhin noch seine Familie um sich gehabt, von seinen Eltern, Großeltern und Geschwistern bis hin zu Onkeln, Tanten, Cousinen und Cousins. „Es tut mir leid um den Verlust Ihrer Eltern“, sagte er aufrichtig.
    „Danke. Meine Mutter verunglückte tödlich, als ich sechs Jahre alt war, und mein Vater starb zwei Jahre später. Es ist schon so lange her, da gewöhnt man sich ans Alleinsein.“
    „Und wer hat Sie aufgezogen?“
    „Ich bin bei Pflegefamilien aufgewachsen. Zum Glück wohnte ich bis zu meiner Volljährigkeit nur bei drei verschiedenen, im Gegensatz zu anderen Kindern, die oft alle zwei Jahre ein neues Zuhause hatten.“
    „Niemand wollte Sie adoptieren?“
    Sie schüttelte den Kopf. „Dazu war ich schon zu alt.“
    „Nun sind Sie also völlig auf sich gestellt. Kein Ehemann, kein Freund?“
    „Nein.“ Lisa warf einen Blick auf ihre Kameratasche. „Ich liebe Reisen und Fotografieren.“ Etwas schüchtern fügte sie hinzu: „Ich habe zwei Bildbände mit meinen Fotografien veröffentlicht.“
    „Das ist
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