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Lockend klingt das Lied der Wueste

Lockend klingt das Lied der Wueste

Titel: Lockend klingt das Lied der Wueste
Autoren: Barbara McMahon
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allein gewesen wäre?
    Der Blick seiner dunklen Augen war unergründlich. Unwillkürlich hielt sie den Atem an. Seine Hautfarbe erinnerte sie an den warmen Ton von Teakholz, seine Gesichtszüge konnte man nur als schön bezeichnen. Normalerweise brachte sie Männer nicht mit diesem Attribut in Verbindung, besonders nicht jene, die eine so raue Männlichkeit ausstrahlten wie ihr Retter. Doch ihr fiel kein passenderes Wort ein. Es juckte sie in den Fingern, ihre Kamera zu nehmen und ein Foto von ihm zu machen.
    „Nicht sehr oft, aber sie kommen immer ohne lange Vorwarnung“, antwortete er auf ihre Frage. „Sind Sie in Ordnung, wenn man von Ihrem Knöchel absieht?“ Er bückte sich und berührte mit seinen Fingern vorsichtig die geschwollene Stelle oberhalb ihres Schuhs. „Das sieht nicht gut aus.“
    „Ich hoffe, er ist nur verstaucht und nicht gebrochen. Wäre es vielleicht möglich, dass Sie mich zu meinem Camp zurückfahren? Allein werde ich es vermutlich nicht schaffen.“
    „Sind Sie ganz ohne Begleitung hier?“ Verwundert sah er sie mit seinen dunklen Augen an.
    Lisa hatte das Gefühl, in einen tiefen, rätselhaften See zu blicken. Welche Geheimnisse barg dieser Mann? Und warum verspürte sie plötzlich den Wunsch, sie zu ergründen? Ihr sonst so nüchternes Denken ließ sie im Stich. Stattdessen übermannte sie Neugier an der Person ihres Retters. Welche Märchen aus Tausendundeiner Nacht würde er ihr erzählen können?
    „Ich gehöre zu dem Archäologenteam, das an der Ausgrabungsstätte ein Stück nördlich von hier arbeitet“, erklärte sie.
    Seine Miene verfinsterte sich. „Die Grabungen im Wadi Hirum“, sagte er abfällig und stand auf.
    „Sie kennen den Ort?“ Lisa wunderte sich über seinen veränderten Gesichtsausdruck. Was fand er daran nicht in Ordnung?
    „Ich war dabei, als mein Onkel die Papiere unterschrieb, die Ihrem Team die Erlaubnis zu diesen Grabungen gaben. Er glaubt, es handelt sich um einen wichtigen Teil noch unentdeckter Geschichte.“ Der Fremde stützte die Arme auf das Sims und sah aus dem Fenster.
    „Offenbar sind Sie nicht seiner Meinung“, stellte Lisa fest.
    „Nein. Ich habe mehr Interesse daran, einen Staudamm zur Wasserversorgung der Beduinen zu bauen, als etwas über irgendwelche Vorfahren zu erfahren, die längst tot sind.“
    „Aber auch unsere historische Vergangenheit ist bedeutsam“, betonte Lisa. „Die alten Karawanenstraßen waren wichtige Versorgungswege für die Menschen, die vor Jahrhunderten hier lebten.“ Sie war keine Historikerin, doch sie fand es hochinteressant, die Funde der Archäologen zu fotografieren und sich ihre Hypothesen anzuhören. Wenn sie dann ihre Fantasie noch ein wenig spielen ließ, konnte sie die Leute, die vor Generationen hier ansässig gewesen waren, beinahe bildlich vor sich sehen – Beduinenfamilien, die Hand in Hand gearbeitet hatten, um das Beste aus ihrem Erdendasein zu machen. Selbst Lisa bewunderte ihre Leistungen, und sie war keine Einheimische. Wie kam es, dass dieser Mann anders darüber dachte?
    „Die Vergangenheit ist tot“, lautete seine Antwort. „Mir liegt die Gegenwart mehr am Herzen.“ Er kehrte vom Fenster zurück und kniete sich vor sie. Sanft hob er ihr Bein an und begann, die Schnürsenkel ihres rechten Schuhs zu lösen.
    „Sollte ich den nicht lieber anbehalten?“, fragte sie.
    „Ich werde einen Verband anlegen, um zu verhindern, dass der Knöchel weiter anschwillt.“
    Verstohlen musterte sie ihn, während er mit seinen schlanken Händen vorsichtig ihren Fuß abtastete. Er hatte seine Kopfbedeckung abgelegt, und sie war überrascht zu sehen, dass sein dichtes schwarzes Haar einen westlichen Schnitt aufwies.
    Er nahm das Tuch, das er für sein Pferd benutzt hatte, und riss es in Streifen, die er fest um ihre Fessel wickelte. Danach fühlte ihr Fuß sich etwas besser an, auch wenn er noch schmerzte.
    Nachdem der Fremde die Bandage angebracht hatte, hob er Lisa hoch. Abermals war sein Gesicht ihr so nahe, dass sie die feinen Linien um seine Augen sehen konnte. Wie alt er wohl sein mochte? Sie schätzte ihn um die dreißig.
    Es beeindruckte sie, wie mühelos er sie auf seinen starken Armen aus dem Haus trug. An der einen Seite des offenen Jeeps war der Sand hoch aufgeworfen. Auch die Sitze waren mit Sand bedeckt. Der Mann stellte sie auf den Boden und wartete, bis sie auf ihrem gesunden Fuß das Gleichgewicht gefunden hatte. Während er die Fahrertür öffnete, hielt Lisa sich am Jeep fest. Der
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