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Lob der Stiefmutter

Lob der Stiefmutter

Titel: Lob der Stiefmutter
Autoren: Mario Vargas Llosa
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sich zu erinnern, ob sie in fernen Zeiten genau wie Fonchito rein und schmutzig zugleich gewesen war, aber es gelang ihr nicht. Sie legte ihre Wange wieder auf den falben Rücken des Kindes, und Neid erfaßte sie. Ach, könnte man doch immer so tierhaft und halb unbewußt handeln, wie es sie liebkoste und liebte, ohne über sie oder sich selbst ein Urteil zu fällen! ›Ich hoffe, daß du später einmal nicht leiden mußt, mein Kleines‹, wünschte sie ihm innerlich.
    »Ich glaube, ich hab es erraten«, sagte sie nach einer Weile. »Aber ich trau mich nicht, es dir zu sagen, es ist wirklich eine Ferkelei, Alfonsito.«
    »Und ob«, nickte das Kind verschämt. Es war wiederrot geworden. »Aber wenn schon, es ist die Wahrheit, Stiefmutter. So bist du auch, es ist nicht meine Schuld. Aber was macht das schon, wo es doch nie jemand erfahren wird, nicht wahr?«
    Und dann, völlig übergangslos, in einer dieser unvermittelten Anwandlungen, bei denen er Ton und Thema wechselte und in der Altersleiter viele Stufen hinauf- oder hinabzuklettern schien, fügte er hinzu:
    »Wird es nicht bald zu spät, um zum Flughafen zu fahren und meinen Papa abzuholen? Er wird traurig sein, wenn wir nicht kommen.«
    Was zwischen ihnen beiden geschah, hatte Alfonsos Beziehung zu Don Rigoberto überhaupt nicht beeinträchtigt, zumindest hatte sie nichts dergleichen bemerkt. Doña Lukrezia schien, daß das Kind seinen Vater genauso, ja vielleicht mehr als vorher liebte, nach den Zärtlichkeitsbeweisen zu urteilen, mit denen es ihn bedachte. Es schien auch nicht die geringste Verlegenheit, das mindeste Schuldgefühl ihm gegenüber zu empfinden. ›Die Dinge können nicht so einfach sein und auch noch so gut ausgehen‹, sagte sie sich. Und doch waren sie bislang einfach und gingen bestens aus. Wie lange würde dieses harmonische Truggespinst noch dauern? Wieder einmal sagte sie sich, daß nichts diesen gestaltgewordenen Traum, in den das Leben sich für sie verwandelt hatte, zerstören könnte, wenn sie nur klug und vorsichtig zu Werke ging. Zudem war sie sicher, daß Don Rigoberto der glückliche Nutznießer ihrer Seligkeit wäre, wenn dieseverworrene Situation anhielte. Aber wie immer, wenn sie daran dachte, warf eine Vorahnung einen dunklen Schatten auf diese Utopie: so etwas passiert doch nur im Kino und in Romanen, du Spinnerin. Sei realistisch: früher oder später wird es böse enden. Die Wirklichkeit ist niemals so vollkommen wie die Dichtung, Lukrezia.
    »Nein, wir haben noch Zeit, mein Liebling. Es sind noch zwei Stunden bis zur Ankunft des Flugzeugs aus Piura. Wenn es keine Verspätung hat.«
    »Dann werde ich noch ein bißchen schlafen, ich bin ganz schlapp«, gähnte das Kind. Es drehte sich zur Seite, suchte die Wärme von Doña Lukrezias Körper und legte den Kopf auf ihre Schulter. Einen Augenblick später schnurrte es mit schwacher Stimme: »Glaubst du, daß Papa mir das Moped kauft, das ich mir gewünscht habe, wenn ich am Ende des Schuljahres den Preis für besondere Leistungen bekomme?«
    »Ja, er wird es dir kaufen«, antwortete sie, während sie ihn sanft an sich drückte und wie ein neugeborenes Kind in den Schlaf wiegte. »Wenn er es dir nicht kauft, dann tu ich es, sei unbesorgt.«
    Während Fonchito ruhig atmend schlief – sie konnte die gleichmäßigen Schläge seines Herzens wie Echos in ihrem Körper spüren –, verharrte Doña Lukrezia reglos, um ihn nicht zu wecken, versunken in friedliche Schläfrigkeit. Halb aufgelöst, vagabundierte ihr Geist durch einen Korso von Bildern, aber immer wieder gewann eines davon an Schärfe und setztesich mit einer verführerischen Aureole in ihrem Bewußtsein fest: das Bild im Wohnzimmer. Was ihr das Kind gesagt hatte, beunruhigte sie ein wenig und erfüllte sie mit mysteriösem Unbehagen, denn es ließ auf ungeahnte morbide Tiefen, auf unvermuteten Scharfsinn in dieser kindlichen Phantasie schließen.
    Später, nachdem sie aufgestanden war und gefrühstückt hatte, ging sie, während Alfonsito sich duschte, in das Wohnzimmer hinunter und betrachtete eine lange Zeit den Szyszlo. Es war, als hätte sie ihn nie zuvor gesehen, als hätte das Bild wie eine Schlange oder wie ein Schmetterling Erscheinung und Sein verändert. ›Dieses kleine Kind hat es in sich‹, dachte sie verwirrt. Welche Überraschungen verbargen sich noch in dem Köpfchen dieses kleinen hellenischen Gottes? An diesem Abend, nachdem sie Don Rigoberto am Flughafen abgeholt und seinem Reisebericht zugehört hatten,
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