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Lob der Stiefmutter

Lob der Stiefmutter

Titel: Lob der Stiefmutter
Autoren: Mario Vargas Llosa
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jetzt seinen Vater lieben würde? Ja, es war möglich. Sie spürte weder Reue noch Scham. Sie kam sich auch nicht wie eine Zynikerin vor. Es war, als fügte die Welt sich ihrem Willen. Ein unbegreifliches Gefühl von Stolz erfaßte sie. »Heute nacht war es schöner als gestern und je zuvor«, hörte sie Don Rigoberto später sagen. »Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll für das Glück, das du mir schenkst.« »Ich auch nicht, mein Liebling«, flüsterte Doña Lukrezia bebend.
    Seit dieser Nacht hatte sie die Gewißheit, daß die heimlichen Begegnungen mit dem Kind auf irgendeine dunkle, verworrene, schwer erklärbare Weise ihre eheliche Beziehung bereicherten, ihr etwas Beunruhigendes, etwas Neues gaben. Aber was ist denn das für eine Moral, Lukrezia? fragte sie sich erschrocken. Wieist es möglich, daß du in deinem Alter über Nacht so geworden bist? Sie konnte es nicht begreifen, aber sie bemühte sich auch nicht darum. Lieber überließ sie sich dieser widersprüchlichen Situation, in der sie um jener heftigen, gefahrvollen Erregung willen, aus der für sie jetzt das Glück bestand, mit ihren Taten ihre Grundsätze verhöhnte und verletzte. Eines Morgens, als sie die Augen aufschlug, kam ihr dieser Satz in den Sinn: ›Ich bin souverän geworden.‹ Sie fühlte sich glücklich und befreit, aber sie hätte nicht zu sagen gewußt, wovon.

    ›Vielleicht habe ich deshalb nicht das Gefühl, etwas Schlechtes zu tun, weil Fonchito es auch nicht hat‹, dachte sie, während sie die Fingerspitzen über den Körper des Kindes gleiten ließ. ›Für ihn ist es ein Spiel, ein Streich. Und genau das ist unsere Geschichte, nicht mehr. Er ist nicht mein Liebhaber. Wie könnte er das sein in seinem Alter?‹ Was war er dann? Ihr kleiner Amor, sagte sie sich. Ihr Spintria. Er war das Kind, das die Renaissance-Maler den Schlafzimmer-Szenen hinzufügten, damit das Liebesgefecht im Widerspiel zu dieser Reinheit noch hitziger erschien. ›Dank dir heben wir uns mehr, Rigoberto und ich, und unsere Lust steigert sich‹, dachte sie und küßte seinen Hals mit dem Saum ihrer Lippen.
    »Ich könnte dir erklären, warum das Bild dein Porträt ist, aber es macht mich, ich weiß nicht …«, murmelte das Kind, noch immer in den Kissen vergraben. »Soll ich es dir erklären, Stiefmutter?«
    »Ja, ja, bitte.« Doña Lukrezia betrachtete ehrfürchtig die kleinen gewundenen Adern, die an einigen Stellen seiner Haut wie blaue Bächlein durchschimmerten. »Wie kann denn ein Bild mein Porträt sein, auf dem keine Personen, sondern nur geometrische Formen und Farben zu sehen sind?«
    Das Kind hob spitzbübisch das Gesicht.
    »Denk nach, und du wirst schon sehen. Stell dir vor, wie das Bild ist und wie du bist. Ich glaub dir nicht, daß du nicht drauf kommst. Es ist doch so einfach! Wenn du es rätst, kriegst du eine Belohnung, Stiefmutter.«
    »Erst heute morgen hast du gemerkt, daß dieses Bild mein Porträt ist?« fragte Doña Lukrezia mit wachsender Verwirrung.
    »Warm, warm«, applaudierte das Kind. »Wenn du so weitermachst, hast du es gleich raus. Ui, es ist zum Schämen, Stiefmutter!«
    Er lachte wieder laut auf und verbarg sich in den Laken. Auf dem Fensterbrett hatte ein kleiner Vogel zu piepsen begonnen. Es war ein schriller, jubelnder Ton, der den Morgen zerriß und die Welt, das Leben feiern zu wollen schien. ›Du hast recht mit deiner Freude‹, dachte Doña Lukrezia. ›Die Welt ist schön, und es lohnt sich, in ihr zu leben. Piep, piep.‹
    »Also, es ist dein geheimes Porträt«, flüsterte Alfonsito. Er buchstabierte jedes Wort und machte bedeutungsvolle Pausen, um eine theatralische Wirkung zu erzielen. »Ein Porträt von dem, was keiner von dirkennt oder sieht. Nur ich. Ach, und mein Papa, natürlich. Wenn du es jetzt nicht rätst, dann wirst du es nie raten, Stiefmutter.«
    Er streckte ihr die Zunge heraus und zog eine Grimasse, während er sie mit diesem wasserblauen Blick beobachtete, unter dessen klarer, unschuldiger Oberfläche Doña Lukrezia bisweilen etwas Perverses zu erahnen glaubte, wie bei jenen Tieren mit Fangarmen, die in der Tiefe der paradiesischen Ozeane hausen. Ihre Wangen brannten. Wollte Fonchito wirklich auf das hinaus, was ihr gerade zu dämmern begann? Oder, besser gesagt: Verstand das Kind überhaupt, was es da andeutete? Sicherlich nur halb, formlos, instinktiv, ohne daß sein Verstand dabei im Spiel war. Bedeutete Kindheit dieses Gemisch aus Tugend und Laster, Sünde und Heiligkeit? Sie versuchte
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