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Lob der Grenze - Kritik der politischen Unterscheidungskraft

Lob der Grenze - Kritik der politischen Unterscheidungskraft

Titel: Lob der Grenze - Kritik der politischen Unterscheidungskraft
Autoren: Paul-Zsolnay-Verlag
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diese Tätigkeiten selbst das Ziel haben, in erster Linie soziale Bindungen zu ermöglichen, wie es bei sehr vielen Vereinen der Fall ist, sei es, dass das Soziale, die Gemeinschaft, in der man lebt, selbst zur Aufgabe dieser Tätigkeit wird, wie es bei der Freiwilligen Feuerwehr ebenso der Fall ist wie bei organisierten Formen der Nachbarschaftshilfe oder anderen caritativen Tätigkeiten. Und auch dort, wo sich Bürger freiwillig zusammenschließen, um für einen gewissen Zeitraum für ein Ziel – ein Umweltprojekt, eine Lebensform, einen Freiraum oder gegen ein Bauprojekt – zu kämpfen, handelt es sich um Praxis im antiken Sinn. Das Tätigsein in solchen Vereinen und Verbänden ist kein Job, sondern eben: lebendiges Engagement, gelebte Gemeinschaft. Gerade für Menschen, die in gesicherten ökonomischen Verhältnissen leben, in ihren Berufen erfolgreich sind, könnte solch eine freiwillige Tätigkeit wieder viel mehr ihren Lohn in der damit verbundenen »Ehre« haben, als es zurzeit der Fall ist. Das klassische Ehrenamt ist nämlich nicht gedacht, um Phasen der Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen zu überbrücken oder offiziöse Qualifizierungschancen sanft zu oktroyieren. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass auch und gerade derjenige, der in seiner Erwerbsarbeit erfolgreich ist, in einer ehrenamtlichen Tätigkeit etwas lernt und Seiten des Lebens kennenlernt, die ihm beim Pendeln zwischen Vorstandsetagen und Businesslounges wahrscheinlich entgehen.
    Aber auch dort, wo dieser Aspekt der Ehre vielleicht nicht mehr als zeitgemäß empfunden und der Aspekt der Freiwilligkeit in den Vordergrund gerückt wird, eröffnen sich Chancen, diese Tätigkeiten als Ausdruck menschlichen Tuns zu sehen, das auch Perspektiven für eine Gesellschaft jenseits der klassischen Arbeitswelten erlaubt. Ein ernsthaft verstandenes Prinzip der Freiwilligkeit könnte uns verdeutlichen, in welchem Maße soziales Handeln seinen Sinn in sich tragen kann, ja tragen muss und nicht an den Kriterien des Wettbewerbs und des Gewinns orientiert werden darf.
    Allerdings soll auch nicht verschwiegen werden, dass unter den gegebenen Bedingungen diese Formen von Freiwilligkeit immer auch bestimmten Gefahren ausgesetzt sind. Gerade weil in diesen Aktivitäten Menschen eine Form selbstbestimmter Tätigkeit erleben, die ihnen das Berufsleben so nicht oder nur selten bietet, kann das Ehrenamt zu einer selbst Zwangscharakter annehmenden Kompensationsform werden. Im Volksmund kennt man dieses Phänomen als Vereinsmeierei. Es kann auch nicht sein, dass das freiwillige Engagement andere Pflichten, die man hat – etwa gegenüber dem Partner oder der Familie –, zurücksetzt, so wenig es ideal ist, wenn vor diesen Pflichten in das Ehrenamt geflüchtet wird. Auch hier geht es um eine angemessene Balance. Und die zweite Gefahr besteht in dem Druck zur Professionalisierung, der überall dort gegeben ist, wo man mit seiner Tätigkeit entweder mit professionell arbeitenden Konkurrenten konfrontiert ist oder Chancen sieht, aus einem sozialen oder politischen Engagement einen Beruf zu machen. Die dritte Gefahr schließlich besteht darin, dass die Versuchung groß ist, dass verantwortliche öffentliche und private Instanzen missliebige oder teure oder wenig profitable Arbeiten der Bereitschaft und dem Engagement von Freiwilligen überlassen. Es darf nicht sein, dass sich zum Beispiel die öffentliche Hand aus bestimmten Bereichen des Gesundheitswesens und der sozialen Wohlfahrt mit dem Hinweis auf die Potenziale freiwilliger Dienstleistungen zurückzieht. Freiwilligkeit kann kein Ersatz für Fehler und Misswirtschaft in der Sozial- und Gesundheits-, in der Kultur- und Bildungspolitik sein. Freiwilligkeit kann – nun im privaten Sektor – kein Modell sein, um wenig profitable Tätigkeiten auszulagern oder durch billige Arbeit profitabel zu machen. Die fließenden Grenzen zwischen Freiwilligentätigkeit und oft erzwungenen Praktika zeugt von einem unheilvollen Trend, unter verschiedenen gut klingenden Begriffen Löhne zu senken oder überhaupt unbezahlte Arbeit in Anspruch zu nehmen.
    Das europäische Jahr der Freiwilligkeit hätte uns darauf aufmerksam machen können, dass Freiwilligkeit, soziales Engagement, Hilfsbereitschaft, Freude an kommunikativen Tätigkeiten nicht nur einen verschwiegenen Beitrag zur Wertschöpfung, nicht nur ein Reservoir für Lernchancen, nicht nur eine Kompensation der Defizite der Arbeitswelt darstellen, sondern auch darauf, dass
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