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Lob der Faulheit

Lob der Faulheit

Titel: Lob der Faulheit
Autoren: Thomas Hohensee
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und Ordnung herrschten (dass Diktatur, Krieg und Kadavergehorsam damit Hand in Hand gingen, wird geflissentlich verschwiegen) und beklagen den Untergang von Kultur und Zivilisation (als ob davon in der Vergangenheit immer die Rede sein könnte).

     
    Sie sagen Disziplin und meinen Unterwerfung und Fremdbestimmung. Es gab einen Bundeskanzler, der von seinen Parteifreunden mehr Solidarität in Fragen der militärischen Aufrüstung forderte. Was dieser Bundeskanzler von seiner Partei wirklich verlangte, war Gehorsam. Sie sollte ihm treu ergeben folgen. Wenn sogar ein gebildeter Mensch Gehorsam mit Solidarität verwechselt, braucht man sich nicht zu wundern, dass auch der Begriff Disziplin so oft verschleiernd verwendet wird.
     
    Fehlt es Menschen, die keine Disziplin haben, an Charakter? Diese oft diskutierte Frage kennt nur eine richtige Antwort: Nein, im Gegenteil! Wer für Demokratie, Selbstbestimmung, Gewaltfreiheit und Dialog eintritt, verdient höchste Anerkennung, selbst wenn die Auflehnung gegen Disziplin mitunter nur einem Reflex und keiner bewussten Haltung entspringt.
     
    Selbstverständlich ist nicht jeder, der für Disziplin eintritt, ein Verfechter von Diktaturen. Manche glauben – unter Verkennung ihrer wahren Bedeutung –, dass man sie benötige, um Dinge zu erledigen, die einem keinen Spaß machen. Sie verstehen Disziplin als (Selbst)Kontrolle bzw. (Selbst)Beherrschung.

     
    Dazu gibt es zweierlei zu sagen: Erstens bezeichnen auch Kontrolle und Beherrschung nicht unbedingt etwas Gutes. »Kontrolle« bedeutet Überwachung, Aufsicht und sogar Gewalt, wie etwa in der Redewendung »die Kontrolle über etwas verlieren«, zum Beispiel über ein Auto. Auf was für eine Einstellung weist es hin, wenn man von Aufsicht und Überwachung spricht? »Beherrschen« ist keinen Deut besser: Es heißt über jemanden oder etwas herrschen, Macht haben, regieren, etwas in der Gewalt haben, zügeln. Ist denjenigen, die von kontrollieren und beherrschen sprechen, eigentlich bewusst, wofür sie sich damit aussprechen? Was ist das für ein Umgang mit sich und anderen?

     
    Zweitens ist die Überbetonung von Pflicht und Disziplin falsch. Mit Zwang und Kontrolle ist auf Dauer niemandem gedient. Vielleicht möchten Sie einwenden: Aber was ist mit den Tausenden Krankenschwestern und Feuerwehrleuten, die täglich ihre Pflicht tun, diszipliniert arbeiten und anderen auf diese Weise aufopferungsvoll helfen? Ich bin da anderer Meinung. Ich glaube, dass es manchen Menschen Spaß macht, Kranke zu pflegen und Gefährdete aus dem Feuer zu retten. Sie leisten eine sinnvolle Arbeit, die zutiefst befriedigen kann. Wenn sie jemandem keinen Spaß macht, sollte dieser den Beruf wechseln; denn wer nur aus Pflichtgefühl und Disziplin diese Aufgaben erfüllt, tut sich und anderen keinen wirklichen Gefallen. Hilfsbedürftige Menschen oder solche in Not haben mehr verdient als seelenlose Pflichterfüllung, und ich bin überzeugt, dass die meisten, die in diesen Berufen arbeiten, ihre Tätigkeiten wirklich gern machen.

     
    Menschen, die davon sprechen, dass sie gelernt hätten, sich diszipliniert zu verhalten, beispielsweise pünktlich zu Verabredungen zu erscheinen, meinen ebenfalls etwas Anderes. Sie haben verstanden, dass es sinnvoll ist, sich an Termine zu halten. Es entspricht den Geboten von Höflichkeit und Respekt, dass man andere nicht warten lässt. Sie wissen, dass bestimmte Arbeitsabläufe davon abhängen, dass jeder zur festgesetzten Zeit seinen Beitrag leistet. Deshalb organisieren sie sich und ihren Tagesablauf so, dass sie zur vereinbarten Minute erscheinen. Ihre Pünktlichkeit ist freiwillig. Sie beruht auf Einsicht und Selbstmotivation. Mit Disziplin hat dies nichts zu tun.
     
    Wenn Disziplin und Arbeitseifer zusammentreffen, kann dies eine verheerende Verbindung ergeben; denn Disziplin verleitet dazu, Dinge zu tun, die man besser lassen sollte. Und das Problem mit Arbeitseifer ist, dass er dazu verleitet, mehr zu tun, als gut ist. In Kombination heißt das: das Falsche tun, und das auch noch mit Volldampf.

    Triumph des Willens: die dunkle Seite der Disziplin
    Man hört, dass Disziplin immer wieder missbraucht wurde, zum Beispiel von den Nazis. Das stimmt nicht. Disziplin ist ihrem Wesen nach auf Unterwerfung gerichtet. So wie man von einer Diktatur nicht sagen kann, sie sei leider missbraucht worden, ist es bei der Disziplin ausgeschlossen, sie in einem positiven Licht zu sehen.
     
    Wenn ich in der Überschrift von
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