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Lloyd, Sienna

Lloyd, Sienna

Titel: Lloyd, Sienna
Autoren: 04 Verführt von einem Vampir
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zu trotzen. Lucas Macjals erwartet mich, er scheint winzig hinter seinem lächerlich großen Schreibtisch in einem Raum, der sich perfekt als Ballsaal eignen würde. Er ist klein, rund, hat ein rotes Gesicht und trägt seine Brillen ohne Gläser auf der Nase.
    „Oh, Héloïse. Wie finden Sie Ihren neuen Künstlernamen?“
    „Meinen was?“
    „Mademoiselle Hélo Ise. Das war meine Idee. Ich habe davon geträumt, und von 100.000 verkauften Exemplaren in der ersten Woche.“
    „100.000? Aber Sie haben doch es doch noch gar nicht gelesen, Monsieur Ma…“
    „Nennen Sie mich Lucas! Junge Dame, glauben Sie, dass ich heute hier bin, weil ich Bücher „gelesen“ habe? Ich kann mich nicht einmal mehr an das letzte Werk erinnern, das ich komplett gelesen habe! Ich spiele sozusagen Poker, Héloïse, und ohne mich selbst loben zu wollen, bin ich durchaus gut darin. Bitte nehmen Sie doch Platz.“
    „Poker also …“
    „Ja, Poker, oder jedes beliebige andere Spiel, in dem der Erfolg nicht vom Glück abhängig ist. Ein Händedruck und ein kurzes Gespräch reichen mir, um zu sagen, ob ich es mit einem Bestsellerautor zu tun habe oder nicht.“
    „Und? Erleben Sie das oft?“
    „Vielleicht einmal alle fünfzig Jahre.“
    „Ich fühle mich geschmeichelt, Monsieur … ähm, Lucas. Gut, sprechen wir über das Projekt?“
    „Bitte sehr!“
    „Gabriel hat …“
    „DER Gabriel Lamberson? Von LūX?“
    „Genau der. Nachdem Gabriel mich angefahren hat und ich einen Monat bei ihm verbringen musste, habe ich erlebt, dass ich mich vollkommen geirrt hatte, was „Sie“ angeht.“
    Ich erzähle Macjals, der an meinen Lippen hängt, meine ganze Geschichte. Ich erzähle ihm von den Vampirgeschichten, die mein Vater mir vorgelesen hat, als ich klein war, von der Krise des Blutes, von den immer grauenvolleren Reportagen über die „blutrünstigen Bestien“. Ich denke, dass es für ihn wichtig ist, zu verstehen, wie sehr mein erzwungener einmonatiger Aufenthalt hier für mich wie eine Gefangenschaft in der Höhle des Löwen war. Ich erzähle ihm von den Leuten, denen ich begegnet bin, von meiner Recherche, von Charles' Bibliothek. Ich erzähle ihm auch von den Tausenden Fragen, die ich mir unentwegt stelle, zum Beispiel in letzter Zeit: „Wie ist es, ohne den Begriff Zeit zu leben?“ Ich schließe meinen Vortrag mit einem Hinweis auf die Notwendigkeit, meine Generation und alle folgenden aufzuklären, ich spreche von meiner Angst vor den „M“ und davon, dass es an der Zeit ist, gemeinsam in Frieden zu leben, ohne durch Grenzen getrennt zu sein.
    Ich fühle, dass Macjals gerührt ist, er glaubt an meine Stellungnahme, und das war genau, was ich überprüfen wollte, bevor ich ihm meinen USB-Stick gebe.
    „Héloïse, was Sie mir erzählt haben, übertrifft meine Erwartungen bei Weitem.“
    „Oh! Und …?“
    „Und es ist nicht einfach, Lucas Macjals dermaßen zu rühren.“
    „Vielen Dank, ich fühle mich geehrt.“
    „Ich werde Ihnen im Lauf des Nachmittags eine Mail schicken, um über die Fristen, das Lektorat, die Bezahlung und andere Kleinigkeiten zu sprechen, die das Werk betreffen. Haben Sie sich schon einen Titel überlegt?“
    „Ja.“
    „Verraten Sie ihn mir.“
    „Im Herzen.“
    „Gekauft! Nun werde ich Ihnen nicht noch mehr Zeit stehlen, ich habe noch andere Termine, Mademoiselle. Vielen Dank, dass Sie sich mir geöffnet haben.“
    „Ich danke Ihnen.“
    Ich stehe auf, um das Büro zu verlassen, aber Macjals ruft mich zurück.
    „Erinnern Sie mich daran, dass ich Ihnen eines Tages erzähle, wie auch ich die große Liebe erfuhr … mit einer Sterblichen.“
    Ich drehe mich um und Lucas blickt durch sein großes Fenster nachdenklich nach draußen. Ein kleiner, einsamer Mann, der an der Spitze eines Imperiums steht – wie so viele hier.
    * * *
    Die Sonne geht bereits unter, als ich ins Viertel der Sterblichen fahre. Ich habe den Eindruck, die Stadt seit zehn Jahren nicht gesehen zu haben, doch es hat sich nichts verändert. Ich habe mich verändert, ich sehe meine Umwelt mit anderen Augen, und die Graffitis, die mit „M“ signiert sind, jagen mir kalte Schauer über den Rücken. Haben sie sich in den vergangenen zwei Monaten vervielfacht? Irgendwie habe ich das ungute Gefühl, dass es so ist.
    „Sie müssen ausbluten“, „Menschen, die Erde gehört euch!“, „AMS“ (Alle müssen sterben). Die rote Tinte, die an den dreckigen Hausmauern der Vorstadt herabläuft, widert mich an. Ich fahre weiter und
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