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Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee
Autoren: Chris Cleave
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alten weißen Peugeot, der mich an den meines Vaters erinnerte, durch den ganzen Südosten meines Landes.
    Ich saß auf dem Beifahrersitz, und Sarah fuhr, während Charlie hinten saß und lachte. Wir hörten die Musik der Lokalsender, sehr laut. Der rote Staub der Straße wehte überallhin, sogar in den Wagen, und wenn wir Charlie abends das Batmankostüm auszogen, um ihn zu waschen, waren auf seiner weißen Haut zwei leuchtend rote Diamanten zu sehen, wo die Augenlöcher der Maske gewesen waren.
    Manchmal bekam ich Angst. Manchmal kamen wir in ein Dorf, und ich sah, wie einige der Männer mich anschauten, und ich erinnerte mich, wie ich und meine Schwester gejagt wurden. Ich fragte mich, ob es noch immer Geld von den Ölfirmen gäbe, wenn mich jemand endgültig zum Schweigen brachte. Ich hatte Angst vor den Männern in den Dörfern, doch Sarah lächelte nur. Ganz ruhig, sagte sie. Denk daran, was auf dem Flughafen passiert ist. Dir wird nichts zustoßen, solange ich hier bin.
    Und ich wurde ruhiger. In jedem Dorf fand ich Leute mit Geschichten, und Sarah schrieb sie auf. Es war einfach. Wir waren froh. Wir dachten, wir hätten genug getan, um uns zu retten. Wir dachten, das ist ein guter Trick.
    Eines Nachts, als wir zwei Wochen in meinem Land waren, träumte ich von meiner Schwester Nkiruka. Sie kam aus dem Meer. Zuerst wirbelte die Wasseroberfläche, weil sich darunter etwas Unsichtbares bewegte, und dann sah ich zwischen zwei Wellen ihren Kopf auftauchen, umtanzt von weißem Schaum. Dann erhob sich das Gesicht meiner Schwester aus dem Wasser, und sie kam langsam über den Strand auf mich zu, und sie stand da und lächelte und trug das Hawaii-Hemd, das ich getragen hatte, als sie mich aus dem Abschiebegefängnis entließen. Es war vom Salzwasser durchweicht. Meine Schwester sagte einmal meinen Namen und wartete.
    Als Sarah aufwachte, ging ich zu ihr. Bitte, sagte ich, wir müssen ans Meer. Ich muss mich von meiner Schwester verabschieden. Sarah schaute mich lange an, und dann nickte sie. Sie sagte nichts. An diesem Morgen gab Sarah den Polizisten viel mehr Geld als sonst. Wir fuhren nach Benin City im Süden und kamen am späten Nachmittag dort an. Wir übernachteten in einem Hotel, das genau so war wie unseres, und fuhren am nächsten Morgen weiter nach Süden zur Küste. Wir brachen früh auf, als die Sonne noch tief am Himmel stand. Das Licht, das durch die Autofenster fiel, war warm und golden. Charlie seufzte und trommelte mit den Fersen auf den Rücksitz.
    »Sind wir bald da?«
    Sarah lächelte ihm im Rückspiegel zu. »Bald, Liebling.«
    Die Straße endete in einem der Fischerdörfer, die es dort gibt, und wir gingen an den Strand. Charlie rannte lachend los, um Sandburgen zu bauen. Ich setzte mich neben Sarah, und wir blickten hinaus auf den Ozean. Man hörte keinen Laut außer den Wellen, die sich am Strand brachen. Nach einer Weile drehte sich Sarah zu mir.
    Sie sagte: »Ich bin stolz, dass wir so weit gekommen sind.«
    Ich nahm ihre Hand. »Weißt du, Sarah, seit ich mein Land verlassen habe, denke ich oft bei mir, wie würde ich den Mädchen zu Hause diese Dinge erklären?«
    Sarah lachte und streckte die Arme in beide Richtungen des Strandes aus.
    3»Und?«, fragte sie. »Wie würdest du den Mädchen zu Hause das hier erklären? Das wäre nicht einfach, was?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das würde ich den Mädchen zu Hause nicht erklären.«
    »Nein?«
    »Nein, Sarah. Denn heute verabschiede ich mich von alldem. Wir sind jetzt die Mädchen zu Hause. Du und ich. Es gibt nichts, zu dem ich zurückkehren könnte. Ich brauche diese Geschichte niemandem sonst zu erzählen. Danke, dass du mich gerettet hast, Sarah.«
    Als ich das sagte, sah ich, dass Sarah weinte, und da musste ich auch weinen.
    Als der Tag heißer wurde, füllte sich der Strand mit Menschen. Es gab Fischer, die in die Wellen hinausgingen und große, leuchtende Netze vor sich auswarfen, und es gab alte Männer, die sich einfach hinsetzten und aufs Meer schauten, und Mütter, die mit ihren Kindern im Wasser planschten.
    »Wir sollten hingehen und die Leute fragen, ob jemand eine Geschichte hat.«
    Sarah lächelte und deutete auf Charlie. »Ja, aber das kann warten. Sieh nur, er hat solchen Spaß.«
    Charlie rannte und lachte, und ihr könnt mir glauben, ein Dutzend einheimischer Kinder rannte mit ihm und lachte und brüllte, denn wenn es etwas gibt, das man in meinem Land am Strand nicht sehr oft antrifft, dann ist es ein weißer Superheld
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