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Listiger Freitag

Listiger Freitag

Titel: Listiger Freitag
Autoren: Garth Nix
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Ausstattung – keine Ventile für Sauerstoffschläuche, keine Klingeln für das Pflegepersonal, nichts von alldem. Genau genommen waren in dem ganzen Raum nur die Betten und die Leute, die darin ihren eigenartigen Schlaf schliefen.
    Sie sah wieder zu der Putzfrau hin, die leider denselben Moment wählte, um aufzublicken. Sie starrten sich einen Augenblick lang an, dann stieß die Frau einen unterdrückten Schrei aus und ließ ihren Wischmopp fallen.
    Blatt kam hoch und taumelte auf den Wischmopp zu. Obwohl sie sich kaum auf den Beinen halten konnte und sich auch nicht besonders bedrohlich vorkam, wich die Putzfrau mit einem Aufschrei zurück. Fast wäre Blatt über den Eimer gestolpert, aber sie bekam den Mopp zu fassen, richtete sich auf und schwang ihn wie einen Stock.
    »Mach … mach keinen Unsinn!«, flüsterte die Frau gequält. Sie hatte eindeutig Angst – aber nicht vor Blatt. Sie sah zur Tür. »Du musst wieder ins Bett! Sie ist schon auf dem Weg hierher.«
    Blatt senkte den Wischmopp. »Wer ist auf dem Weg hierher? Wo bin ich eigentlich?«
    »Sie!«, sagte die Putzfrau nur. »Rasch! Zurück ins Bett! Du musst so tun, als ob du wie die andern wärst! Mach einfach nach, was sie machen!«
    »Warum?«
    Die Putzfrau erschauderte.
    »Du musst! Wenn nicht … sie wird etwas mit deinem Kopf anstellen. Ich habe es nur einmal gesehen. Jemand wie du, der wach war, obwohl er hätte schlafen sollen. Sie hat diesen Spiegel benutzt, und ich habe gesehen … ich habe gesehen …«
    »Was!?«
    »Ich habe gesehen, wie das Leben aus ihm gewichen ist«, wisperte die Frau. Sie war auf einmal blass wie ein Laken und zitterte. »Sie hielt ihm diesen kleinen Spiegel vors Gesicht, und ich sah … etwas … aus seinem Kopf kommen. Dann hielt sie sich den Spiegel vor den Mund, und sie –«
    Die Frau unterbrach sich. Sie musste krampfhaft schlucken und konnte nicht weiterreden.
    »Es muss doch einen Fluchtweg geben«, sagte Blatt grimmig. Sie zeigte auf die andere Tür gegenüber. »Wo führt die hin?«
    »Zum Schwimmbecken«, flüsterte die Frau. »Ihrem Schwimmbecken. Du musst dich wieder ins Bett legen! Bitte, bitte, ich will das nicht noch einmal sehen!«
    Blatt zögerte, dann warf sie den Wischmopp der Putzfrau zu, die danach griff, als wäre er ihr Rettungsanker, und ging auf die andere Tür zu.
    »Nein!«, schrie die Putzfrau auf. »Sie wird das leere Bett bemerken! Es ist Freitag, nichts ist hier freitags mehr so, wie es war!«
    Blatt wollte weitergehen, doch ihre Beine gaben nach. Sie fiel hin und landete auf Händen und Knien. Bevor sie sich wieder aufrappeln konnte, hatte die Putzfrau sie schon unter den Armen gepackt und zog sie zurück zum Bett. Blatt wehrte sich, aber sie war einfach zu schwach.
    »Mach die Schlafenden nach!«, keuchte die Putzfrau. »Es ist deine einzige Chance. Folge ihnen!«
    »Wohin denn?«, fuhr Blatt sie an. Sie war wütend, weil ihr Körper ihr nicht richtig gehorchen wollte.
    »Sie gehen ins Schwimmbecken«, erklärte die Putzfrau. »Nur, dass es nicht mehr das Schwimmbecken ist. Ich hätte es eigentlich gar nicht sehen dürfen. Ich soll nur den Boden vor ihr sauber machen. Aber einmal habe ich es beobachtet, durch die Lüftungsschlitze im Umkleideraum …«
    »Kommen sie wieder zurück?«
    »Ich weiß es nicht«, wisperte die Frau. »Nicht hierher. Als ich hier anfing, waren es zwanzig im Monat, nicht mehr. Das war vor dreißig Jahren. Aber das ganze Haus wurde diese Woche aufgefüllt. Sie muss dieses Mal Tausende von Leuten nehmen.«
    »Was für Leute? Wen? Aus den Krankenhäusern?«
    »Seht!«, machte die Frau. Sie zog die Bettdecke über Blatt und hastete zu ihrem Wischmopp zurück, wobei sie den Eimer fast bis zur nächsten Tür schob. Während sie hektisch den Boden feudelte, rief sie über die Schulter: »Sie kommt!«

    Widerstrebend legte sich Blatt flach hin, aber sie drehte den Kopf so, dass sie die Tür durch die halb geschlossenen Augen sehen konnte. Kurz darauf hörte sie schwere Schritte, und die Tür schwang auf. Zwei sehr große, sehr gut aussehende Männer in schiefergrauen Straßenanzügen und Trenchcoats stürmten hindurch. Blatt erkannte diesen Typus sofort: höhere Bürger, die Mäntel am Rücken ausgebeult, ein sicheres Anzeichen von Flügeln.
    Hinter den beiden Bürgern kam die schöne Frau, die Blatt schon in dem Sanitätszelt gesehen hatte. Lady Freitag war wirklich groß, und ihre rubinbesetzten Stöckelschuhe ließen sie noch größer wirken. Sie trug ein goldenes
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