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Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller
Autoren: Dein für alle Ewigkeit
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jenen
einsamen Zeiten eine ungemein lebhafte Phantasie entwickelt. Prinzessinnen und
Prinzen, Schlösser und Drachen waren ihre Lieblingsthemen.
    »Wie heißen
Sie?« fragte Megan.
    »Elaina«,
erwiderte die schöne Dame. Das Tor quietschte in seinen Scharnieren, als sie es
öffnete, aber das Geräusch war Megan kein bißchen unheimlich.
    Um
festzustellen, ob jemand sie beobachtete, wandte Megan den Kopf, doch niemand
sah in ihre Richtung. Lächelnd hob sie ihre Puppe, damit Elaina sie betrachten
konnte. »Das ist Gloriana«, sagte sie.
    Das Tor
öffnete sich noch etwas weiter. »Sie ist wunderschön«, sagte Elaina mit einer
Stimme, die sanft und warm wie eine Liebkosung war.
    »Es gibt
fünf Megans in meiner Klasse in Briarwood«, vertraute das Kind der freundlichen
Dame an, die jetzt so nahe war, daß Megan sie berühren konnte. »Ich finde, das
ist zuviel, nicht wahr?«
    Elaina
runzelte die Stirn, als dächte sie darüber nach. »Vielleicht sollten wir dich Gloriana nennen«, meinte
sie schließlich lächelnd. Dann trat sie einen Schritt zurück, und Megan, die
sich nichts Schöneres vorstellen konnte, als Gloriana zu sein, folgte
ihr über die Schwelle.
    »Das
gefällt mir schon viel besser«, erklärte das kleine Mädchen ernst. Eine tiefe
Stille hatte sich über den Ort gesenkt, und als Megan sich umwandte, sah sie
die anderen Schulkinder wie durch dichten, lautlosen. Regen. Sie kamen ihr wie
Gespenster vor, wie Schatten, die immer mehr verblaßten, bis sie sich
schließlich vollkommen in Luft auflösten.
    »Möchtest
du zu ihnen zurückkehren, Gloriana? Zurück in diese andere Welt?« fragte
Elaina, die sich wieder bückte, um dem Kind in die Augen zu sehen. »Es ist
deine Wahl. Du brauchst nicht hierzubleiben, wenn du es nicht willst.«
    Gloriana.
Es war wunderbar, so genannt zu werden.
    Megan
dachte an ihr einsames Bett im Schlafsaal, an ihre abgegriffenen Bücher und das
Pult im Schulzimmer. Ihre Eltern hatten sie wahrscheinlich längst vergessen, so
begierig, wie sie gewesen waren, sich scheiden zu lassen und ein neues Leben zu
beginnen. Sie hatten sie weder zum Abschied geküßt noch ihr versprochen, sie zu
besuchen ...
    Auch heute
noch weinte sie jede Nacht, sobald es dunkel war im Saal, obwohl sie wußte,
daß das albern war.
    »Könnte ich
in einem Schloß leben, ein hübsches Pferd reiten wie eine Prinzessin aus dem
Märchen und einen Prinzen heiraten, wenn ich erwachsen bin?« fragte sie.
    Elainas
Lächeln erwärmte Megans Herz. »Freilich wirst du in einem Schloß leben und ein
Pferd besitzen – und falls es kein Prinz sein kann, dann würdest du dich vielleicht
auch mit einem sehr netten Baron als Ehemann zufriedengeben? Aber das brauchst
du nicht heute zu entscheiden, weil noch viele Jahre vergehen werden, bevor du
bereit zu einer Ehe bist.«
    Gloriana
nickte, warf einen Blick zurück durchs Tor und sah mit Erleichterung, daß die
anderen Kinder nicht wieder erschienen waren, und auch die Welt, die sie
bewohnten, nicht. Nichts anderes war zu sehen als Kopfsteinpflaster und
Blumen, das Tor und die hohe Mauer der Abtei.
    »Ich bin
sehr hungrig«, sagte Gloriana. Sie hatte ihr Lunchpaket im Bus zurückgelassen.
Aber all das erschien ihr jetzt so unwirklich, auf solch wundersame Weise weit
entfernt, als befände es sich auf der anderen Seite des Regenbogens.
    »Dann mußt
du mich begleiten«, entgegnete Lady Elaina und reichte ihr einladend die Hand.
    Gloriana
ergriff sie ohne Zögern. »Sind Sie eine gute Fee?« fragte sie, als sie über
einen schmalen Pfad zum Hof der Abtei hinübergingen.
    »Nein«,
erwiderte Elaina, »ganz gewiß nicht.«
    »Aber Sie
können zaubern.«
    »Nein,
Liebes«, widersprach die Dame heiter und hob das kleine Mädchen auf eine Bank,
um ihm in die Augen sehen zu können. »Du warst es, die den Zauber bewirkt hat,
nicht ich.« Sie runzelte die Stirn, als sie Megans/Glorianas Jeans, T-Shirt
und Turnschuhe betrachtete. »Wir müssen dir etwas anderes zum Anziehen
beschaffen, bevor dich irgend jemand in diesen Sachen sieht.«
    »Wieso?
Gefallen sie Ihnen nicht?« fragte Gloriana verwirrt. Im Internat trugen sie
fast immer Uniformen, und die Schüler waren froh, wenn sie einmal normale
Freizeitkleidung tragen durften.
    »Nichts von
all dem ist bisher erfunden worden«, entgegnete Elaina nachdenklich. »Es wird
genug Fragen auslösen, wenn du aus dem Nichts heraus erscheinst ...«
    Gloriana
spürte, daß sich ein Klumpen in ihrer Kehle bildete, und das Schlucken
schmerzte.
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