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Lilith - Wunschlos gluecklich

Lilith - Wunschlos gluecklich

Titel: Lilith - Wunschlos gluecklich
Autoren: Tine Armbruster
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Tränen viel zu sehr verschleiert, dennoch hielt sie ihn stur geradeaus auf die Wand gerichtet. In ihrem Kopf irrten nur Zahlen umher. 79, 80, 81, 82 … Auch beim Gang hinaus zum ausgehobenen Grab. Nur Zahlen … 159, 160, 161, 162 … Als massenhaft beileidsbezeugende Hände nach ihr griffen, zählte sie einfach weiter … 644, 645, 646, 647 … Beim anschließenden Leichenschmaus im Lieblingslokal ihrer Großmutter … 3732, 3733, 3734, 3735 …
    Sie wusste schon lange nicht mehr, was sie zählte, sie reihte die Zahlen einfach subtil aneinander. Das Letzte, an das sie sich erinnerte, als sie abends todmüde im verwaisten Bett ihrer Großmutter lag, war … 486932.
     
    Für den darauffolgenden Tag war die Testamentseröffnung angesetzt und somit folgte der drittschlimmste Tag in ihrem kurzen Leben. Eigentlich unnötig, immerhin war Mom das einzige Kind und somit Alleinerbin. Aber Annie hatte anscheinend auch ihr etwas hinterlassen und daher musste sie bei diesem Termin gezwungenermaßen ebenfalls anwesend sein. Während sie schon in Mr. Devenports Büro auf seine Ankunft warteten, rätselte Lilith, was Annie ihr wohl vermacht hatte. Sie tippte auf ihre Büchersammlung oder vielleicht auf etwas, dass sie beide über die Jahre hinweg immer miteinander verbunden hatte.
    Mr. Devenport überreichte ihr eine alte, antik aussehende Kanne und einen Brief. Sie erkannte gleich Großmutters schnörkelige Handschrift auf dem Umschlag. »Kann ich den …«, sie wedelte mit dem Brief, »… zu Hause lesen?«, erkundigte sie sich mit erstickter Stimme.
    »Sicher«, antwortete Mr. Devenport. Nach einer weiteren Stunde war der Papierkram erledigt und sie befanden sich wieder auf dem Heimweg. Die Kanne lag in Liliths Schoß.
    Zu Hause angekommen, stellte Lilith das verschnörkelte und eigentümlich wirkende Gebilde auf dem Nachttisch ab und verkroch sich mit dem Brief in Annies Bett.
     
    Liebste Lilith,
     
    wenn du diesen Brief in den Händen hältst, bedeutet das, dass meine Zeit gekommen war. Schon jetzt, wie ich dir diesen Brief schreibe, kann ich behaupten – Ich bereue nichts in meinem Leben! Es hat das Beste hervorgebracht, das ich je zu hoffen gewagt hatte. Deine Mutter und dich!
    Ich werde dich und unsere gemeinsamen Unternehmungen vermissen da oben, und ich weiß, auch du wirst mich vermissen, aber sei dir gewiss, wir werden uns eines Tages wiedersehen und dann machen wir da weiter, wo wir nun unterbrochen wurden.
    Ich wünsch dir nur das Beste, meine kleine Lilith, und auch wenn du es jetzt nicht verstehst, diese orientalisch anmutende Kanne, die ich dir hinterlasse, war die beste Investition meines Lebens. Und darum vererbe ich sie dir. In der Hoffnung, dass auch du mit ihr dein Glück findest …
     
    Pass auf deine Mom auf, meine kleine, süße Lilith.
     
    Bis irgendwann,
    deine dich liebende Großmutter Annie
     
    Lilith drückte den Brief an ihre Brust und ließ sich schluchzend zurück in die Kissen fallen. Irgendwann besiegte die Müdigkeit ihre Trauer und trug sie in einen ruhelosen Schlaf.

Kapitel 3
    Der einzige Wunsch
     
     
     
    W ie so oft in den vergangenen Nächten wurde Lilith auch in dieser Nacht wieder unplanmäßig wach. Früher, als in ihrem Leben noch alles in Ordnung gewesen war, wäre ihr das nie passiert. Sie hatte schon immer einen gesunden Schlaf gehabt, aus dem sie noch nicht einmal ein Erdbeben oder dergleichen hätte reißen können. Komisch, wie sich das Leben doch schlagartig ändern konnte.
    Hektisch atmend schielte sie auf ihren Wecker. Es war wie jede Nacht seit dem Tod ihrer Großmutter. Pünktlich um zwei Uhr weckte sie der immerwährend gleiche Albtraum. Zum Todeszeitpunkt ihrer Granny.
    Sie setzte sich auf, griff nach dem Glas Wasser auf ihrem Nachttisch und leerte es in einem Zug. Sie atmete tief durch, ihr Herz raste immer noch. Das Mondlicht schien hell in ihr Zimmer, es war Vollmond. Sie wollte sich schon wieder hinlegen, als ihr die Ölkanne ins Auge fiel. Das einfallende Mondlicht schien sich auf ihr zu bündeln und das Teil funkelte sie regelrecht an.
    Sollte dies eine Aufforderung sein?
    Seit sie dieses Ding nach dem Tod ihrer Großmutter vor vier Wochen bekommen hatte, lag es fast unberührt in einem ihrer vollgestopften Bücherregale herum. Dahin hatte sie das unbrauchbare Teil verbannt, nachdem Camille es ausgiebig inspiziert hatte. Sie hielt es doch tatsächlich für wertvoll und wollte es sogar auf Hochglanz polieren. Aber Lilith ertrug es nicht, dass
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