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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut
Autoren: Elisabeth Herrmann
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entdeckte immer neue Stellen an seinem Körper, die sie mit ihren Händen berühren wollte. Er war der schönste Mann, den sie jemals gesehen hatte, und sie konnte kaum glauben, in seinen Augen die gleiche Sehnsucht zu entdecken, die sie selbst spürte. Sie fühlte seine Kraft, als er sie in die Arme nahm, und sie wollte, dass er sie nie wieder loslassen würde.
    Doch genau das tat er. Er schob sie wieder sanft von sich weg und stützte den Kopf auf seinen angewinkelten Arm. »Sie können jede Sekunde hier sein. Und ich will nicht, dass meine Erinnerung an dich von polternden Polizisten zerstört wird.«
    Sabrina holte tief Luft und nickte. »Ich auch nicht. Aber wir haben ja Zeit. Sie werden herausfinden, dass du unschuldig bist. Und dann …«
    »Was dann?«, fragte er und fuhr mit der Hand zärtlich über ihren Bauch. »Dann gibst du alles auf und kommst mit auf den Fluss?«
    »Ja«, flüsterte sie. »Nein. Ich weiß nicht. Es war Amelies Traum. Nicht meiner. Aber er war schön, und ich habe ihn eine Weile mitgeträumt. Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich träumen soll. Die Wirklichkeit ist da. Du bist da. Mit dir zusammen kann ich mir alles vorstellen.«

    »Der Fluss ist nicht das, wofür du ihn hältst. Wer nur vom Weglaufen träumt, wird niemals ankommen. Hast du kein Zuhause hier? Niemand, der an dich denkt?«
    »Doch. Meine Mutter. Und ich habe einen Weinberg. Dobersteins Jüngster heißt er, aber keiner weiß, ob er jemals wieder Früchte tragen wird.«
    »Ein Weinberg«, sagte Kilian versonnen. »Davon habe ich immer geträumt. Ein eigenes Stück Land, und von dem leben, was es hergibt. Und wenn man in den Keller steigt und eine alte Flasche holt, dann erinnert man sich an den Jahrgang und daran, ob es ein gutes Jahr war oder ein schlechtes. Ein Jahr, in dem Kinder geboren wurden oder der große Hagel kam, oder eines von den vielen, von denen man glaubt, sie wären nichts Besonderes gewesen. Dann trinkt man den Wein und weiß, dass das nicht stimmt. Er selbst ist vielleicht nur Durchschnitt. Aber das Jahr nicht. Jedes Jahr ist etwas Besonderes, weil man es erleben durfte.«
    »Ich liebe dich«, sagte Sabrina. Es waren die selbstverständlichsten Worte der Welt.
    Kilian beugte sich über sie. »Denk an mich, wenn dieses Jahr vorüber ist.«
     
    Sabrina lag in der Dunkelheit und lauschte auf Kilians regelmäßige Atemzüge. Etwas hatte sie geweckt. Sie schlug die Decke zurück, schlüpfte in ihre Stiefel und ging in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Dann stieg sie an Deck und wartete darauf, dass der Tag anbrach, der sie von Kilian trennen würde.
    Die Morgendämmerung war schon am Himmel zu ahnen. Im Osten leuchtete ein fahler Horizont. Der dunkle Wald lag still und einsam und das Wasser plätscherte leise an den Rumpf der Désirée . Die Luft war feucht und kalt. Das Frösteln war genauso schlimm wie die Müdigkeit. Sie setzte sich auf eine Anglerkiste und beobachtete das Flackern der letzten Sterne am Himmel. Vielleicht würden sie eines Tages zu zweit hier oben sitzen und sehen, wie das Ufer an ihnen vorüberglitt auf ihrer Reise in den Süden.

    Oder … Ein anderes Bild schob sich dazwischen. Kilian auf dem Weinberg, wie er die Reben auf den LKW lud und voller Stolz die Ernte begutachtete. Ging das denn? Die Désirée und Dobersteins Jüngster? Seufzend lehnte sie sich an die Bordwand. Zwei große blaue Müllsäcke, einer halb geöffnet, hockten da und warteten darauf, dass Kilian sie entsorgte. Zusammengeknüllte Abdeckplanen und Kreppband lugten heraus. Daneben standen die Farbeimer, auf ihnen lagen Pinsel und ein Roller. Es war gut, dass er sein Leben entrümpelte. Was immer an Schrecklichem passiert war, es wurde Zeit, dass man es über Bord warf.
    Sie blinzelte. Etwas war merkwürdig an dem einen Sack. Halb verdeckt von den Abfällen schimmerten ein paar zerknüllte Fetzen Papier, die eine Erinnerung in ihr auslösten. Zartrosa, einhornrosa, rosa wie die Träume kleiner Mädchen, die noch an Wunder glaubten. Sie beugte sich vor und schlug das blaue Plastik zurück. Dann holte sie die Papierknäuel heraus, eines nach dem anderen, und strich sie mit zitternden Fingern auf den Knien glatt.
    Vor ihr lagen die fehlenden Seiten aus Amelies Tagebuch. Es war gerade hell genug, dass Sabrina einzelne Sätze entziffern konnte.
    Er wird mich mitnehmen … ist ein Versprechen, das er mir gibt, das nicht gelöst werden kann, nur durch den Tod … er liebt mich … Kilian, der Korsar mit seinem dunklen
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