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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Containerschiff, auf dem die Ladung wie riesige, eiserne Bauklötze aufeinandergestapelt war. Vom Wasser aus wirkte es fast noch eindrucksvoller als vom Land. Im Steuerhaus konnte Sabrina einen Mann erkennen. Ein anderer, offenbar ein Leichtmatrose, hangelte gerade backbord die Reling entlang und spritzte dabei mit einem Schlauch Wasser auf die schmale Schanzung.
    »Wo ist die Hupe?«, rief Amelie aufgeregt.
    »Hey, lass das!«
    »Sag schon! Die Hupe! Oder das Horn, oder wie heißt das Ding denn?«
    Amelie drückte auf alle erreichbaren Knöpfe. Ein heller Ton erklang, der im Vergleich zu einem so großen Pott wie der Maxima eher ein empörtes Quieken war. Amelie drosselte das Tempo, um nicht auf das Heck des Containerschiffes aufzufahren, das sich wie eine riesige, eisengraue Wand vor ihnen aus dem Wasser hob. Sie hupte wieder, aber der Einzige, der reagierte, war der Leichtmatrose. Er zeigte ihr einen Vogel und machte ziemlich obszöne Handbewegungen, die letztendlich den Schluss nahelegten, sich so schnell wie möglich aus der Nähe der Schiffsschraube zu verdrücken.
    »Lass mich jetzt wieder.«
    Lukas wollte den Steuerknüppel übernehmen, doch Amelie ließ das nicht zu. Sie schob ihn weg, gab Gas und schoss links an der Bordwand vorbei direkt in die Mitte der Fahrrinne. Sabrina konnte sich gerade noch das Spritzwasser aus den Augen wischen, als sie erkannte, auf was sie da gerade zurasten. Ein großer Tanker kam ihnen entgegen. Augenblicklich ging Amelie vom Gas, doch es war zu spät. Das Boot lag direkt auf Kollisionskurs.

    »Weg da!«
    Lukas gab Amelie einen Stoß und sprang ans Steuer. In letzter Sekunde bekam er das Boot in den Griff, rechts rauschte die Maxima vorbei, links der Tanker, in der Mitte ihre winzig kleine Nussschale, hin- und hergeworfen von den aufspritzenden Wellen. Die Bordwände der gewaltigen Transportschiffe hätte Sabrina mit ausgestrecktem Arm berühren können. Lukas’ Boot konnte jeden Moment an eine der beiden Stahlwände krachen. Die Motoren der gewaltigen Maschinen zerrissen Sabrina fast das Trommelfell. Das Horn des Tankers dröhnte dazu so laut, dass sogar noch Sabrinas Magen zitterte. Hundert Meter dauerte der Höllenritt, eingezwängt zwischen den beiden riesigen Schiffen, dann war der Tanker vorbei und der Weg steuerbord frei. Lukas riss das Boot nach links und geriet in die gewaltige Bugwelle der Maxima . Es war wie eine Fahrt auf der Achterbahn. Sabrina, die von der Seekrankheit bis jetzt verschont geblieben war, wurde schlecht wie noch nie in ihrem Leben. Der Schiffer sandte ihnen noch einen bösen Gruß mit seinem Schiffshorn nach, dann erreichten sie das seichte Ufer, der Motor ging aus, und Lukas ließ sich aufatmend in den Sitz zurücksinken.
    Zitternd kam Sabrina auf die Beine. Sie war klitschnass. Ihre Zähne klapperten und ihr Magen rebellierte. Lukas stierte vor sich hin, Amelie kauerte auf dem Boden neben ihm und hatte zum ersten Mal, seit Sabrina sie kannte, einen sehr kleinlauten Gesichtsausdruck.
    »Mannomann«, stieß Sabrina aus. Sie beugte sich nach vorne über die Reling, um sich im Falle eines Falles nicht auch noch auf den teuren Walnussboden zu übergeben. »Habt ihr sie noch alle?«
    Jedes Kind wusste, dass die Mitte der Fahrrinne ausschließlich für den Schwerlastverkehr reserviert war. Was sie gerade gemacht hatten, war ähnlich witzig wie mit einem Rad in entgegengesetzter Richtung auf der Autobahn herumzugondeln. Wäre die Wasserschutzpolizei in der Nähe gewesen, wäre das Lukas’ vorerst letzter Bootsausflug gewesen. Ganz zu schweigen
von den Folgen, wenn es tatsächlich zu einer Kollision gekommen wäre.
    Aber Amelie hatte schon wieder ganz andere Sorgen. Sie kramte in ihrer Badetasche, holte einen Spiegel heraus und musterte sich kritisch. »Gott sei dank ist meine Wimperntusche wasserfest. Wow, das war doch mal was! Findet ihr nicht?« Sie sprang auf und reckte sich. »Das Ding macht ja richtig Fahrt. Darf ich jetzt wieder?«
    »Nein. Nicht jetzt.«
    Lukas ließ den Motor an und gab im Leerlauf ein paar Mal Gas. Alles funktionierte. Nichts war passiert. Außer den Schrecksekunden da draußen, die Sabrina in ihrer Todesangst wie Stunden vorgekommen war.
    »Der Tank ist fast leer. Rennfahren verbraucht zu viel Sprit.«
    Amelie verzog den Mund. »Schade. Dann ein anderes Mal?«
    »Heute Abend?« Lukas war wohl gerade auf die Idee gekommen, die eine Gunst mit der anderen zu erkaufen.
    »Ich muss arbeiten.«
    »Ich hol dich ab.«
    »Das kann aber
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