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Liebster Mitbewohner

Liebster Mitbewohner

Titel: Liebster Mitbewohner
Autoren: Fiona Winter
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misstrauisch, doch er hatte sich seine Zeitschrift zur Hand genommen und rührte sich nicht. Ich ließ die Tür sperrangelweit offen, zog die Haustür auf und zerrte ihn Rekordgeschwindigkeit meine Tasche und meinen Rucksack zurück in Felix’ Zimmer. Schwer atmend ließ ich mich anschließend auf dem Sofa nieder. „Was für eine sinnfreie Aktion.“
    „Ich dachte, du wärst gegangen.“
    Mein Gehirn brauchte einen Moment, um die Bedeutung aus diesem zusammenhanglosen Kommentar herauszufiltern. „Du dachtest echt, ich würde einfach aufgeben und gehen? Nur, weil du meine Sachen ins Treppenhaus wirfst?“
    „Ich hab die Wohnungstür zugehen gehört.“
    Eigentlich logisch, seine Schlussfolgerung. Wer schließt auch schon die Eingangstür, wenn fast alle seine Besitztümer draußen auf der Fußmatte liegen? „Muss ein Schock für dich gewesen sein, oder? Ich meine, dass du mich wieder ins Zimmer gelassen hast. Soviel Menschlichkeit hättest du dir wahrscheinlich nicht mal selbst zugetraut.“
    „Ein Schock war es. Wer erwartet schon von sich selbst, Mitleid mit einer Hexe wie dir zu haben?“
    „Ja, du bist so ein guter Mensch.“
    „Offensichtlich.“
    Das ließ ich unkommentiert, denn in diesem Augenblick piepte mein Handy. Ich fischte es aus der hintersten Sofaecke, in die ich es achtlos geworfen hatte, und löste die Tastensperre. Eine SMS von Elena.
    Tut mir leid, ich mach jetzt erst Pause. Hab heute Spätschicht bis halb neun. Gibt’s irgendwas Wichtiges?
    Ich schielte zu Felix. Er hatte sich wieder ganz seiner Zeitschrift gewidmet.
    Nichts Wichtiges. Wir sehen uns morgen auf der Arbeit.
    Ich streckte mich auf dem Sofa aus, die Arme unter dem Kopf verschränkt. „Sag mal, was war das eigentlich für eine Arbeit, die du gekündigt hast?“
    Ich bekam keine Antwort. Und obwohl ich damit gerechnet hatte, nervte es. „Du bist auch nie über die Pubertät hinausgekommen, oder?“
    „Ich hätte dich einfach heulend draußen sitzen lassen sollen. Da reicht man jemandem den kleinen Finger und bekommt dafür den halben Arm abgebissen.“
    „Ich hab nicht geheult.“
    „Wenn du das sagst… “
    „Das sage ich!“
    „Schön, ich sag dir auch etwas: Entweder, du hältst endlich die Klappe oder das nächste Mal, wenn du das Zimmer verlässt, fliegen deine Sachen wieder raus. Diesmal durchs Fenster. Und dann bleibt die Tür zu, ob du dir nun die Augen aus dem Kopf heulst oder dich in der Badewanne zu ertränken versuchst.“
    „Arschloch“, murmelte ich.
    „Das hab ich gehört.“
    Ich erwiderte nichts.
     
    Ich probierte die Passwörter aus Daniels Schreibtischschublade nacheinander durch. Das vierte war tatsächlich das richtige. So verbrachte ich den Rest des Abends mit Internetrecherche. An den meisten Hochschulen konnte man sich nur zum Wintersemester bewerben. Es war Januar. Bis zum Oktober auf meinen Traum zu warten erschien mir viel zu lang. Und dann war da noch die Frage, nach der genauen Richtung, in die ich gehen wollte. Darüber hatte ich mir bisher keine Gedanken gemacht. Ich wusste nur, dass ich etwas mit Kunst und Gestaltung machen wollte. Von Mediendesign, Produktgestaltung oder Industriedesign, und wie sich die Richtungen voneinander unterschieden, hatte ich keine Ahnung. Also vielleicht doch erst zum Wintersemester bewerben und mich bis dahin genau informieren? Außerdem musste man bei vielen künstlerischen Studiengängen eine eigene Mappe bei der Bewerbung vorzeigen. Ich hatte noch nicht einmal mit einer solchen angefangen. Außerdem zeichnete ich nicht besonders gerne.
    Gegen elf Uhr fuhr ich frustriert mein Notebook herunter. Irgendwie hatte ich mir alles viel einfacher vorgestellt. Ich wollte neu anfangen, etwas machen, das mich interessierte. Am besten sofort. Und mich nicht erst durch 500 Internetseiten wühlen.
    Aber morgen war ja auch noch ein Tag. Dann würde ich eben tatsächlich noch ein halbes Jahr warten. Die Auswahl war zum Wintersemester ohnehin größer. In dieser Zeit konnte ich mir auch in aller Ruhe eine Mappe zulegen.
    Als ich es mir im Halblicht von Felix’ Nachttischlampe in meinem provisorischen Bett gemütlich gemacht hatte und die Augen schloss, rechnete ich aus, wie alt ich wäre, wenn ich meinen Abschluss machte. Noch bevor ich ein Ergebnis hatte, schlug ich erschrocken die Augen auf. Nie hatte ich mir Sorgen darum gemacht, dass ich möglicherweise zu alt sein könnte, um etwas Neues anzufangen. Da hatte Leon wirklich ganze Arbeit geleistet. Aber das hätte er
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