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Liebster Mitbewohner

Liebster Mitbewohner

Titel: Liebster Mitbewohner
Autoren: Fiona Winter
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tief und fest zu schlafen.
    Auf dem Weg zur Arbeit verdrängte ich die hochkommenden Gedanken an Leon. Ein Blick auf mein Handy zeigte mir, dass er sich noch immer nicht gemeldet hatte.
    Ich tat mein Bestes, an andere Dinge zu denken. Zum Beispiel musste ich mich bald entscheiden, ob ich mein Jurastudium sofort abbrechen oder es weiterführen wollte, bis ich im Oktober mit dem Designstudium begann. Ich neigte spontan dazu, es einfach abzubrechen. Was brachte es mir, weiter trockene Paragraphen auswendig zu lernen, wenn ich mir jetzt schon sicher war, dass ich bald etwas Anderes machen wollte? Komplette Zeitverschwendung. Ich könnte mich stattdessen mit etwas anderem beschäftigen. Ein halbes Jahr ohne Studium, da eröffneten sich ganz neue Möglichkeiten. Was ich nicht alles tun könnte! Nur fiel mir in diesem Moment nichts ein, was ich tatsächlich tun wollte . Aber das war sicher nur eine Frage der Zeit. Zum Beispiel könnte ich ins Ausland gehen. Einige meiner Freunde hatten das direkt nach dem Abitur gemacht. Mit dem Working Holiday Visum nach Kanada oder Australien. Das war jedenfalls sinnvoller, als mich hier weiter durchs Jurastudium zu quälen. Doch wenn ich ehrlich war, löste auch die Vorstellung eines Auslandsaufenthaltes keine richtige Begeisterung in mir aus.
    Zum Glück hatte ich in diesem Moment das Einkaufszentrum erreicht und konnte die Nachdenkerei auf später verschieben. Ich sah auf mein Handy. Fünf Minuten vor neun.
    Ich beschleunigte meine Schritte und erreichte um eine Minute vor neun den Buchladen, in dem ich arbeitete. Um Punkt neun passierte ich die Tür, die zum Personalbereich führte.
    Erleichtert atmete ich aus und verstaute Jacke und Tasche in meinem Spind. Ich klippte mir mein Namensschildchen an die Bluse und wollte gerade den Kundenbereich betreten, als die Tür von außen aufgestoßen wurde und mir fast ins Gesicht schlug. Ich sprang erschrocken einen Schritt zurück.
    „Sie sind schon wieder zu spät, Maja.“
    Ich starrte in das solariumgebräunte Gesicht meiner Chefin und fragte mich zum wiederholten Male, wer ihr eigentlich erlaubt hatte, mich beim Vornamen zu nennen. „Bin ich nicht. Um Punkt neun war ich hier.“
    Frau Schneider legte den Kopf schief, so dass ihre kurzen, dunklen, zur Igelfrisur gegeelten Haare leicht mitwippten. „Da um neun unser Geschäft öffnet und Sie durch den Vordereingang gekommen sind, bedeutet das, dass sie zur Geschäftsöffnung nicht hier waren. Genau das ist aber Sinn Ihrer Frühschicht. Wenn wir öffnen, sollen sie bereit sein, damit eine von Ihnen an der Kasse bleiben und die andere die Regale auffüllen kann.“
    Ich verkniff es mir, sie darauf hinzuweisen, dass in der ersten Stunde nach Ladenöffnung meist so wenig los war, dass eine Person sowohl Regalbestückung als auch Abkassieren locker unter einen Hut bekam. Stattdessen nickte ich brav.
    „Gut, und jetzt an die Arbeit.“ Ich war bereits im Begriff, mich umzudrehen, als Frau Schneider noch mal das Wort ergriff: „Was ich fast vergessen hätte: Ihr Rock entspricht nicht gerade dem Geschmack der allgemeinen Bevölkerung. Nächstes Mal etwas dezenter, ja?“ Damit verließ sie den Personalbereich.
    Ich wartete, bis die Tür zugefallen war, dann zog ich eine Grimasse. Das half wenigstens ein bisschen. Dann folgte ich meiner Chefin in den Kundenbereich. Ich winkte Patrick zu, der hier im ersten Stock die (kundenlose!) Kasse übernommen hatte. Frau Schneider bewegte sich zielstrebig auf ihn zu und obwohl sie ihm gegenüber stets freundlich war, so wusste ich doch, dass auch er die Gespräche mit ihr keineswegs genoss.
    Auf dem Weg zur Treppe begegnete ich noch Lili, ebenfalls Auszubildende, und Heike, die von allen am längsten hier arbeitete und gerade hinter dem Info-Pult stand und etwas für den davorstehenden Kunden recherchierte schien.
    Ich steuerte auf die Treppe zu, die zum unteren Bereich unseres Ladens führte, wo vor allem aktuelle Bestseller und Krimis in den Regalen standen. Schon nach der Hälfte der Stufen konnte ich Elena ausmachen. Sie stand vor dem Bestseller-Regal und diskutierte mit einem Kunden. Sie hatte ihr geduldigstes Lächeln aufgesetzt. Doch an der Art, wie sie eine Strähne ihrer langen, schwarzbraunen Haare um den Zeigefinger zwirbelte, merkte ich, dass der Kunde einer von denen war, die mir regelmäßig den letzten Nerv raubten. Doch Elena verfügte über eiserne Selbstkontrolle.
    Ich näherte mich den beiden, neugierig, wo das Problem lag. Doch kaum war
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