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Lieblose Legenden

Lieblose Legenden

Titel: Lieblose Legenden
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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wurden ihm Choräle von
Buxtehude an der Wiege gesungen, und kaum war er dieser entwachsen, las ihm
sein Vater Tacitus und Milton in eigenen Übersetzungen vor.
    Im Jahre 1798 zog die Familie nach
Hamburg, wo der Neunjährige mit dem geistigen Leben der Zeit in Berührung trat.
Einer der regelmäßigen Gäste im Hause Pilz war Klopstock, der bei seinen
Besuchen aus dem »Messias« vorzulesen pflegte, oder auch aus den Oden, von
denen er damals noch, trotz fortgeschrittenen Alters, einige hundert im Monat
schrieb. In einem Brief an Meyerbeer aus dem Jahre 1836 beschreibt Pilz diese
Abende und erzählt, wie er dem damals schon recht kurzsichtigen Dichter während
seiner Lesungen ganze Stöße von Oden entwendete, ohne daß dieser den Verlust
jemals wahrgenommen hätte. (Vergleiche: »Die sieben Briefe des Gottlieb Theodor
Pilz«, herausgegeben von Karl Ferdinand Gutzkow ,
Cottasche Verlagsbuchhandlung 1864.)
    Auch die Dichter des Sturm und Drang kamen ins Haus, verbreiteten den Wind der bedingungslosen Auflehnung
und führten den Begriff der Freiheit ein. Dazu kam die
nationale Entrüstung und das Gefühl für angetane Schmach,
das damals an der Tagesordnung war. Der junge Gottlieb Theodor, von
aufrührerischem Wirbel unbestimmter Art hingerissen, griff zur Feder und
schrieb im schöpferischen Taumel einer stürmischen Nacht sein erstes und
einziges Drama: »Herzog Theodor von Gotland«. Man zählte das Jahr 1804, Pilz
war fünfzehnjährig.
    Nach beendeter Schulzeit reiste er nach
Italien, wo er bis 1809 blieb. Während dieser Zeit nun, schon im frühen
Jünglingsalter, zeigen sich die für ihn bezeichnenden Züge, die ihn zu der
Persönlichkeit prägen, als die wir ihn verehren: während seines Aufenthaltes im
Süden, der zwei Jahre währte, hat er kein Tagebuch geführt. Er hat weder
Aufzeichnungen noch Skizzen gemacht, noch hat er seine Gedanken über
italienische Kultur in irgendeiner Form niedergelegt. Nicht ein einziger Ausruf
von ihm ist überliefert, ja, angesichts des Golfes von Neapel soll er keine
Miene verzogen haben. Im Jahre 1808 schrieb er einen Brief .[ 2 ] Dieser zeichnet sich durch eine für jene
Periode wahrhaft seltene, erfrischende Nüchternheit der Aussage aus, daher er
hier zitiert sei:
     
    Palermo, Casa Gozzoli ,
den siebenten Oktober 1808
     
    Liebste Mutter,
    es behagt mir hier gar wohl, und so
gedenke ich, eine Zeitlang zu verweylen . Ich wäre
Euch dankbar, so Ihr mir die Gefälligkeit erweisen und mir mein samtenes Jabot
hierher senden wolltet, da die Abende kühl sind. Seyd stets meiner Hochachtung versichert,
    Euer Euch liebender Sohn
    Gottlieb Theodor
     
    Daß Pilz längere Zeit in Rom weilte,
erfahren wir aus den Aufzeichnungen August Wilhelm von Schlegels, der zusammen
mit Madame de Staël ihm im Jahre 1808 dort begegnete.
Schlegel schreibt, daß sie ihn auf der Via Appia antrafen, wo dieser in der
Sonne saß — Pilz darf als ein Pionier des In-der-Sonne-Sitzens gelten — , und ihn nach dem Weg zu den Caracalla-Thermen fragten, dem Ziel
ihres Spaziergangs. Pilz erwiderte, daß er hier selbst fremd sei. So war das
Gemeinsame der Situation festgestellt, und man kam ins Gespräch. Pilz sei allerdings
»recht unartig« gewesen, habe die beiden kaum angesehen, sondern stets nur in
die Sonne geblinzelt. In Wirklichkeit war er, wie er später geäußert hat, »enragiert
über die Störung und den rührigen Eifer der Staël «,
wurde unruhig und einsilbig, und als die Staël ihm
gar — ungefragt — mitteilte, daß sie ein Werk über Deutschland zu schreiben
gedenke, fragte er schroff: »Wozu?« — Die Staël hatte
hierüber nicht nachgedacht und blieb die Antwort schuldig.
    Man traf sich noch einige Male im Café
Greco. Über einem doppelten Melange versuchte Pilz, der Staël ihr Vorhaben auszureden, aber vergebens: sie konnte sich nicht entschließen,
auf eine Dokumentation ihrer Liebe zu Deutschland zu verzichten. Das
vierteilige Werk »de l’Allemagne « erschien im Jahre
1813.
    1810 ist Pilz in Berlin, wo er durch
einen Zufall Friedrich Ludwig Jahn begegnet. Der Patriot faßt eine Zuneigung zu
dem damals Einundzwanzigjährigen — auf Grund welcher Affinitäten ist uns leider
nicht überliefert — und weiht ihn in seine Pläne ein: er beabsichtigt, den
Freiheitskampf der alten Germanen gegen die römische Gewaltherrschaft in einem
groß angelegten Dramenzyklus gleichnishaft darzustellen. Einige Vorbereitung
und Wappnung zur Hermannsschlacht schildernde Szenen
hat er schon zu
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