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Lieblose Legenden

Lieblose Legenden

Titel: Lieblose Legenden
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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die Pedale zu gebrauchen. Ich weiß allerdings
nicht, ob sie beim Cembalo sehr wichtig sind. Ich dachte noch, daß, wenn das
Stück eine Cello-Sonate gewesen wäre, man nun zur Unterbrechung gezwungen wäre,
da im Wasser der Instrumentenkörper keine oder nur ungenügende Resonanz gibt.
Es ist seltsam, an welch abwegige Dinge man in solchen Momenten oft denkt.
    In der Vorhalle war es plötzlich still
wie in einer Grotte. Nur von fern hörte man ein durch mancherlei Echo
verstärktes Brausen. Ich entledigte mich meiner Frackjacke und schwamm nun mit
kräftigen Bruststößen durch den sinkenden Palast der Pforte zu. Die von mir
verursachten Wellen schlugen leicht gegen Wände und Säulen. Es klang wie in
einem Hallenbad. Selten ist es einem vergönnt, in derartigem Rahmen Sport zu
treiben. Kein Mensch war zu sehen. Die Dienerschaft war offensichtlich
geflohen. Und warum auch nicht? Sie hatte ja keine Verpflichtung der wahren und
echten Kultur gegenüber, und die hier Versammelten bedurften ihrer Dienste
nicht mehr. Draußen schien ein klarer, ruhiger Mond, als geschähe nichts, und
doch versank hier — im wahren Sinne des Wortes — eine Welt. Wie aus weiter
Ferne hörte ich noch die höheren Flötentriller Monsieur Bérangers. Er hat einen
schönen Ansatz gehabt; das muß man ihm lassen.
    Ich band die letzte Gondel los, die das
fliehende Personal übriggelassen hatte, und stach in See. Durch die Fenster, an
denen ich vorbeiruderte, stürzten nun die Fluten in den Palast und blähten die
Portieren, nassen Segeln gleich. Ich sah, daß sich die Gäste von den Sitzen
erhoben hatten. Die Sonate mußte zu Ende sein, denn sie klatschten Beifall, zu
welchem Zwecke sie die Hände hoch über den Köpfen hielten, denn das Wasser
stand ihnen bis zum Kinn. Mit Würde nahmen die Marchesa und Monsieur Beranger den Beifall auf. Verbeugen
konnten sie sich allerdings unter den Umständen nicht. Nun erreichte das Wasser
die Kerzen. Sie verloschen langsam, und mit zunehmender Dunkelheit wurde es
still; der Beifall erlosch und verstummte, wie auf ein schreckliches Zeichen.
Plötzlich setzte das Getöse eines zusammenstürzenden Gebäudes ein. Der Palazzo
fiel. Ich lenkte die Gondel seewärts, um nicht von herabfallendem Stuck
getroffen zu werden. Es ist sehr mühsam, ihn aus den Kleidern bürsten zu müssen,
hat sich der Staub einmal festgesetzt.
    Nachdem ich einige hundert Meter durch
die Lagune in der Richtung auf die Insel San Giorgio hin gerudert war, drehte
ich mich noch einmal um. Das Meer lag im Mondlicht spiegelglatt, als habe
niemals irgendwo eine Insel gestanden.
    Schade um die Badewanne, dachte ich,
denn dieser Verlust war nicht wieder gutzumachen. Der Gedanke war vielleicht
hartherzig, aber man braucht ja erfahrungsgemäß einen gewissen Abstand, um ein
solches Erlebnis in seiner ganzen Tragweite zu erfassen.

Ich schreibe kein Buch über Kafka
     
     
     
     
     
     
    Böse Zungen, oder vielmehr deren
Besitzer, behaupten — und ich sehe sie dabei hämisch lächeln — daß ich an einem
Buch über Kafka schreibe. Diese Anschuldigung trifft nicht zu, ich weise sie
zurück. Denn ich schreibe an einem Buch über Golch.
    Ehrlichkeitshalber möchte ich zugeben, daß ich mich vor
langer Zeit einmal mit dem Gedanken trug — wie schließlich jeder sensible
Intellektuelle — ein Buch über Kafka zu schreiben. Durch diese Phase muß man
nun einmal hindurch, und man braucht sich später ihrer so wenig zu schämen wie
einer jugendlichen Schwärmerei. Was mich damals allerdings davon abhielt, war
weniger eine Abkehr von dem Thema als der Umstand, daß meine sämtlichen
Bekannten bereits an einem Buch über Kafka schrieben (nicht alle an einem;
jeder für sich natürlich). Aus irgendeiner Tücke des Schicksals heraus, die zu
bedauern ich heute wahrhaftig keinen Grund mehr habe, hatten sie alle früher
damit angefangen — ich habe mich verhältnismäßig spät entwickelt — und nun war
für mich kein Aspekt mehr übrig, im Lichte dessen ich Kafka hätte deuten
können. Deshalb spielte ich eine kurze Zeit mit dem Gedanken, einen der
bedeutenderen Kafka-Biographen herauszugreifen und ein Buch über ihn zu
schreiben, aber auch diese Idee hatte mir ein anderer, der, wie ich, zur
Verteilung der Gesichtspunkte zu spät gekommen war, vorweggenommen.
    Nun beschloß ich, mir ein neues Feld zu
suchen, und ich fand eines. Ich schreibe, wie gesagt, an einem Buch über
Ekkehard Golch. Für diejenigen, denen dieser Name kein Begriff ist — und
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