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Die Katze in der Muelltonne

Die Katze in der Muelltonne

Titel: Die Katze in der Muelltonne
Autoren: Chris Tanner
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    Die Sonne steht hoch am blauen Himmel, und wenn man die Augen etwas zusammenkneift und weit über die Straße blickt, bis zur nächsten Ecke, wo der Baum mit den roten Kirschen steht, dann kommt es einem so vor, als ob ein ganz zartes Flimmern in der Luft liegt. Aber es ist nur ein unsichtbarer Schmetterling, der mit seinen kräftigen Flügeln alles in Wallung bringt.
    Wenn es sehr warm ist, so wie heute, dann zeigt er sich gern, und ich versuche ihn zu fangen. Mal flattert er direkt vor meiner Nase. Im nächsten Augenblick sehe ich ihn neben dem Dornenbusch, vor dem alten Holztor, das einmal schneeweiß war, und von dem inzwischen die Farbe abblättert.
    Hinter dem Tor liegt Benno, der Schäferhund, träge in der Sonne, und ich mache einen weiten Bogen um ihn, denn er wartet nur darauf, dass ihm jemand zu nahe kommt. Dann springt er nämlich auf und macht ein Theater, dass einem das Herz stehen bleibt.
    Einmal, ich war noch sehr jung und hatte Benno noch nie zuvor gesehen, wollte ich an diesem Tor vorübergehen. Da schoss Benno auf mich zu, als wollte er mich fressen. Das hätte er sicher auch getan, wenn das Holztor nicht dazwischen gewesen wäre. Ich machte einen Riesensatz zur Seite und landete direkt im Dornenbusch. Der hakte sich in meinem Fell fest, und ich konnte mich eine Stunde lang nicht von der Stelle rühren.
    Benno ist hinter dem Tor beinahe wahnsinnig geworden. Er sah mich im Dornenbusch hängen und wusste nicht, was los war. Vielleicht dachte er, ich hätte keine Angst. Jedenfalls rannte ich nicht fort, und das reizte ihn bis aufs Blut.
    Ich weiß noch, wie ich damals dachte: „Soll er doch kommen, dieser verrückte Hund. Soll er doch seine Schnauze in diesen Dornenbusch stecken. Dann wird ihm das Bellen schon vergehen. Er wird vor Schmerz den Schwanz einziehen und sich jaulend in seiner Hütte verkriechen.“
    Aber er tat mir den Gefallen nicht. Das altersschwache Holztor knarrte zwar und bog sich mächtig durch, wenn er dagegen rannte. Doch es war immer noch stark genug, Benno davon abzuhalten, seinen kahlen Vorhof zu verlassen.
    Benno ist dumm. Er erschreckt dich zu Tode, wenn du an ihm vorübergehst, nur weil er glaubt, du willst seinen Hof stehlen. Dabei fällt mir das im Traum nicht ein. Nie würde ich mit ihm tauschen, um auf seinem winzigen Stück Land zu wohnen. Hier draußen steht mir die ganze Welt zur Verfügung, und er ist dort drinnen eingesperrt, sein Leben lang. Wirklich ein armer Hund. Er hat es nur noch nicht bemerkt.
    Gerettet hat mich damals ein alter Mann mit einem kaputten Hörgerät. Bennos wütendes Gekläffe hat er gar nicht wahrgenommen. Dafür hatte er wohl sehr gute Augen. Mit denen hat er mich da hängen sehen, im Dornenbusch. Nun musste er sich bücken und jeden Dorn einzeln aus meinem Fell ziehen. Dabei bekam er einen ganz roten Kopf. Am Ende haben die Dornen ihm die Hände zerkratzt. Aber er war zufrieden. Als ich fortlief, stand er auf dem Weg und schaute mir lächelnd nach. Dabei sah ich seine Hände. Da waren viele Kratzer darauf und die bluteten sogar ein bisschen.
    Mein unsichtbarer Schmetterling ist heute sehr schnell. Ich jage ihn bis zur nächsten Ecke, wo Minna, die schönste Hauskatze der Straße, auf einer Mauer liegt und müde blinzelnd mein Treiben beobachtet.
    „Hat dir deine Mutter nicht beigebracht, dass man heiße Luft nicht einfangen kann?“, fragt sie mit einem gelangweilten Ton in der Stimme.
    „Ich habe keine Mutter mehr“, rufe ich. „Sie ist vor ein paar Monaten fortgegangen.“
    Minna streckt sich träge.
    „Man sollte deiner Mutter das Fell versohlen. So ein kleines Kätzchen allein zu lassen.“
    „Kannst du mir nicht alles beibringen, was ich wissen muss?“
    „Bist du verrückt? Ich bin froh, dass meine eigenen Kinder aus dem Haus sind. Ich habe keine Lust, mich mit einem Waisenkind herumzuschlagen.“
    „Dann lass mich einfach weiter den Schmetterling fangen.“
    „Von mir aus, mach was du willst. Geh aber ein Stück weiter. Mit deinem Herumgehopse verscheuchst du mir ja die ganzen Vögel.“
    „Vögel? Was willst du denn von denen?“
    „Wenn ich mal einen erwische, dann fress ich ihn“, sagt Minna und grinst ganz hässlich.
    „Ich glaube, bei dir kann ich nicht bleiben. Du frisst Vögel?“
    „Du kommst ja wirklich vom Mond, Kleiner. Besser du gehst nach Hause.“
    „Aber ich habe kein zu Hause.“
    „Jede Katze hat eins. Wo schläfst Du denn in der Nacht?“
    „Na hier, auf der Straße.“
    „Eine Katze ohne
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