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Lieblose Legenden

Lieblose Legenden

Titel: Lieblose Legenden
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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Basiliewkys Wort:
»Es gibt keinen Tanz, es gibt nur Tänzer!«), sondern sie war auch die
Verfasserin des Buches »Zurück zur Jugend«, welches, wie der Titel schon
besagt, sich für die Rückkehr zum Jugendstil einsetzt und inzwischen — das
brauche ich wohl kaum zu erwähnen — in weiten Kreisen Schule gemacht hat.
Während wir miteinander plauderten, kam ein älterer, hochaufgerichteter Herr
auf uns zu. Ich erkannte ihn sogleich an seinem Profil: es war Golch. Der Golch. (Wer er ist, weiß jedermann: sein Beitrag zum geistigen Bestand ist
beglückendes Allgemeingut geworden.) Die Dombrowska stellte mich vor: »Herr Sebald, der ehemalige Besitzer von Marats Badewanne .« Es hatte sich herumgesprochen.
    »Aha«, sagte Golch, wobei er mit der
letzten Silbe dieses Ausrufs ein leichtes Glissando nach oben vollführte, dem
ich wohl entnehmen durfte, daß er mich als Nachwuchs für die Elite der
Kulturträger in Betracht zog, obgleich es wohl noch manche Prüfung zu bestehen
gäbe. Ich hakte sofort ein, indem ich ihn fragte, wie ihm die Ausstellung
zeitgenössischer Malerei im Luxembourg gefallen habe.
Golch hob die Augen, als suche er ein Wort im Raum und sagte: »Passe .« (Er gebrauchte die damals übliche englische Betonung des
Wortes. Auch die Wörter » cliché « und » pastiche « wurden damals englisch ausgesprochen. Wie man es
jetzt tut, weiß ich nicht, und es scheint mir auch nicht wichtig zu sein. Denn
schließlich war in diesen Dingen die Insel der Marchesa tonangebend. Sie ist versunken und hat die Richtlinien
mit sich gezogen.) »Passe«, sagte er, und ich pflichtete ihm bei, hätte es — daß
ich es gestehe! — auch dann getan, wenn seine Äußerung gegenteilig ausgefallen
wäre, denn es war immerhin Golch, dem ich da gegenüberstand.
    Nun ging man zum Büffet. Hier stieß ich
auf Signora Sgambati , die Astrologin, deren Theorie,
daß aus den Sternen nicht nur das Schicksal des einzelnen ersichtlich ist,
sondern ganze kulturgeschichtliche Strömungen abgelesen werden können, vor
einiger Zeit großes Aufsehen erregt hatte. Zwar war die von ihr
vorausgesagte Strömung noch nicht eingetroffen, doch bildeten sich — wie
ihre große Gefolgschaft behauptete — schon hier und dort kleine Strudel, die
als Symptomzellen zu betrachten seien. Sie war keine Alltagserscheinung ,
diese Sgambati , man sah es ihr an. Dennoch ist es mir
unbegreiflich, daß sie, unter den Umständen, in der Sternkonstellation nicht
den drohenden Untergang einiger wesentlicher Mitglieder der Geisteswelt,
Urheber eben ihrer Strömung, gesehen hatte. Sie war in ein Gespräch mit
Professor Kuntz-Sartori vertieft, dem Politiker und
Verfechter der royalistischen Idee, der seit Jahrzehnten versuchte, in der
Schweiz eine Monarchie einzuführen, wobei er freilich auf erheblichen
Widerstand von seiten der Eidgenossenschaft stieß. Ein markanter Kopf! Nachdem
man eine Erfrischung in Form von Champagner und deliziösen Krustazeen zu sich
genommen hatte, begab man sich in den Silbersaal, denn nun kam der Höhepunkt
des Abends, eine Darbietung besonderer Art: die Erstaufführung zweier
Flötensonaten des Antonio Giambattista Bloch, eines
Zeitgenossen und Freundes Rameaus , den der
Musikforscher Weltli — er war natürlich auch zugegen —
entdeckt hatte. Sie wurden gespielt von dem Flötisten Beranger (jawohl, ein Nachkomme) und von der Marchesa selbst
begleitet, und zwar auf dem Cembalo, auf welchem schon Célestine Rameau ihrem Sohn die Grundprinzipien des
Kontrapunktes erläutert hatte (die er allerdings sein Leben lang nicht recht
begriffen haben soll) und welches man aus Paris hatte kommen lassen. Auch die
Flöte hatte ihre Geschichte, aber ich habe sie vergessen. Die beiden
Interpreten hatten zu dieser Gelegenheit Rokokokleidung angelegt, und das
kleine Ensemble glich - sie hatten sich absichtlich so angeordnet - einem Watteau-Gemälde . Die Darbietung fand selbstverständlich bei
gedämpftem Kerzenschein statt. Es war keiner zugegen, der für eine solche
Gelegenheit elektrisches Licht nicht als unerträglich empfunden hätte. Eine
weitere feinfühlige Laune der Marchesa hatte es
verlangt, daß man nach der ersten Sonate (D-Dur) vom Silbersaal (Barock) in den
goldenen Saal (Frührokoko) hinüberwechselte, um dort die zweite Sonate ( f-moll ) zu genießen. Denn jener Saal hatte eine Dur-Tönung,
dieser aber war — und das hätte wahrlich niemand bestritten — Moll.
    Hier muß ich nun allerdings sagen, daß
die öde Eleganz, die den
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